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Gästebuch Titel

Kritik der E-Mail von Wolfgang T.

Ohne Tradition haben wir das Niveau einer Lurche!

Verehrter Herr Wolfgang T.

Zunächst einmal möchte ich mich für Ihren Beitrag zu Karl Heinz Haag, auf den sich die Erinnyen positiv beziehen, aber auch in einigen Aspekten kritisch geäußert haben, bedanken.

Da Sie in ihrer E-Mail nicht konkret auf einen Gedanken aus der Tradition eingehen, schlage ich vor, als Gegenstand der Erörterung zunächst die Bedeutung des Begriffs Tradition festzulegen. Ich werden im Folgenden ihre E-Mail Satz für Satz kommentieren.

Vollständige E-Mail von Wolfgang T. und der Kommentar von B. Gaßmann

Haag arbeitet sich in seinem Buch über den Fortschritt in der
Philosophie an der Tradition ab.

Diese Feststellung ist ein Fakt, doch da Sie in Ihrem Schreiben die Tradition pauschal in Zweifel ziehen, ist es angebracht etwas Generelles zur Tradition zu sagen. Ein Individuum, das sein Leben lang lernen muss, hat eine Geschichte der Aneignung von Wissen, es kann dieses Wissen nur aktualisieren, wenn es sich an das Gelernte erinnert, also seine Tradition ins Gedächtnis holt. Ein moderner Chemiker, dessen Versuche fehlschlagen, weil er Fehler gemacht hat, aktualisiert, um diese Fehler abzulegen, die Alchemie, d.h. das Wissen um die Fehler der Alchemie, deren Reflexion die Regeln wissenschaftlichen Experimentierens zum Resultat hatten. In der Gesellschaftstheorie muss man die Geschichte einbeziehen, weil wir ohne deren Kenntnis zwangsläufig die Fehler wiederholen müssten, die wir oder unsere Vorfahren gemacht haben. Auch wenn die Menschen oft nichts aus ihrer Geschichte lernen, so sind deren Lehren doch der Maßstab der Kritik an der Gegenwart. Ohne einen solchen autonomen Maßstab, der aus der Reflexion unserer Geschichte folgt, wären wir wie eine Lurche, die auch kaum ein Gedächtnis hat oder wir wären willige Sklaven der Verhältnisse, intelligente Tiere, zu denen uns die Herrschenden gern machen würden.

Wo und wann kommt die Frage nach der Last, die man dabei trägt in dem
Sinne, dass die übernommenen Begriffe und damit einhergehenden
Unterscheidungen ja nicht fraglos so und nicht anders sein müßten.

Der Irrealis „und nicht anders sein müßten“ macht aus dem „nicht fraglos so“ wieder eine positive Bedeutung, also etwa dass sie „fraglos sind“ – da Sie dies aber nicht meinen, wie aus dem Kontext zu ersehen ist, gehe ich davon aus: Traditionelle Begriffe sind nicht fraglos für Sie.
   In dieser Allgemeinheit gilt dies für die gesamte Tradition. Jeder Denker, der sich auf vorgängige Philosophen bezogen hat, um ein neues System aufzustellen, hat die Begriffe der Tradition kritisiert. Mit dieser Kritik verschwinden aber die vorgängigen Begriffe nicht, sondern sind in der neuen Gestalt des Denkens aufgehoben. Aufheben heißt, das Falsche an ihnen wird negiert im Sinne von vernichten, der wahre Gehalt wird aufgehoben im neuen System und zugleich auf eine höhere Stufe gestellt. Das Falsche ist aber nicht einfach verschwunden, sondern wie bei der Alchemie immer noch im Gedächtnis als Fehler, der nicht wiederholt werden darf, aufzubewahren.
   Dieser Vorgang, wenn man die Geschichte der Wissenschaft von 2500 Jahren betrachtet, ist tatsächlich eine Last, die von Einzelnen nicht bewältigt werden kann, sondern nur durch Arbeitsteilung. Andererseits ist die Geschichte der Philosophie, was die ontologischen, logischen und erkenntnistheoretischen Probleme betrifft, nicht so unübersichtlich, dass ein Studium dafür nicht ausreichen würde. Da dies aber mit großer Anstrengung und Zeit verbunden ist, machen es sich viele Studenten bequem und folgen nicht der schlüssigen Argumentation, sondern den modischen Thesen eines Professors, bei dem sie zufällig studieren.
 Sie, Herr T., rationalisieren diese Last, indem Sie die „übernommenen Begriffe“ und „Unterscheidungen“ generell anzweifeln. Seriös ist ein Zweifel nur, wenn er am konkreten Material aufgewiesen wird. Ein genereller Zweifel ist ein Widerspruch in sich, weil jede Aussage angezweifelt wird, aber die eigene Meinung, alles sei zweifelhaft, wird als Wahrheit dogmatisch unterstellt.

N. Luhmann macht in seinen Werken  - zwar von soziologischer Seite -
darauf aufmerksam, wie zufällig diese Unterscheidungen sein könnten.

Alles Philosophieren fängt mit der Erfahrung, der Zusammenfassung von sinnlichen Wahrnehmungen, an. Es ist auf die theoretische Spontaneität von Menschen angewiesen, die immer auch zufällig existieren. Insofern beruht auch die verallgemeinerte Erfahrung auf zufälligen Momenten. Aber wissenschaftliche Philosophie ist seit Thales von Milet nicht bloße Erfahrung, sondern die Erkenntnis von Wesensbestimmungen, die diese Erfahrungen regieren. Das ist aber kein Grund, die Unterscheidungen der Philosophie als „zufällig“ zu bezeichnen. Stellen Sie sich doch nur einmal vor, es gäbe nur Erscheinungen, aber keinen festen, d.h. notwendigen, Wesensbegriff! Sie könnten nicht nur zweimal in denselben Fluss steigen, wie Heraklit sagt, sondern wüssten gar nicht, was ein Fluss ist. Da Luhmann abstrakt von dem heute angehäuften Wissen ausgeht, kann er sich einbilden, dass die Gestalten des Denkens in der Geschichte sinnlos sind.

Die alten Antworten mögen ihre Berechtigung in ihrer jeweiligen Zeit gehabt
haben, weil sie damals auf Konflikte antworteten. Deswegen müssen sie
aber keine weitere Bedeutung haben.

Philosophie ist in einer bestimmten Zeit entstanden, aber ihre gültigen Resultate sind zeitlos, wie etwa der Satz des Aristoteles vom zu vermeidenden Widerspruch.
   Ich habe die Beispiele nicht von ungefähr aus der antiken Philosophie genommen, um zu zeigen, dass deren Begriffe heute Allgemeingut geworden sind, auch wenn Luhmann wie eine theoretische Lurche von ihrer Geschichte abstrahiert.
   Die Philosophie kann nicht wie die Naturwissenschaften auf Experimente zurückgreifen, sondern muss, um ihre Begriffe zu präzisieren, neben der Reflexion neuer Erfahrungen  immer wieder ihre Tradition reflektieren. Das ist der Grund, warum die Geschichte der Philosophie konstitutiv ist für die Wahrheit ihrer Begriffe in der Gegenwart.

Ich jedenfalls kann mir unter absoluter Wahrheit nichts mehr vorstellen, allenfalls würde ich den darin enthaltenen gewalttätigen Kern, jeden , der noch nicht soweit ist, darauf zu verpflichten, hervorheben.

Der Begriff „absolute Wahrheit“ ist Unfug, Wahrheit ist eine Relation, die Übereinstimmung von Begriff und Sache – so wird sie jedenfalls von Aristoteles, über Descartes, Kant und Hegel bis hin zur Kritischen Theorie bestimmt. Wenn Wahrheit eine Relation ist, dann hängt sie von ihren Relata ab, dem Begriff und der Sache, also kann sie nicht „absolut“ sein. Denn absolut heißt bedingungslos.
   Dass man nun gerade einer kritischen Philosophie, die auf bestimmten Wahrheiten besteht, immer mit dem Argument der Gewalt kommt, ist bloßes Ressentiment, das die Herrschenden und ihre Ideologen den Leuten einreden. Während in den Naturwissenschaften und der Technik dogmatisch Wahrheiten gelehrt werden, soll das Selbstbewusstsein der Gesellschaft, also die Philosophie, auf den Pluralismus, also einen schizophren Standpunkt festgelegt werden, damit jede Kritik am Kapitalismus als zweifelhaft, als bloße Meinung erscheint, die im Konzert der Meinungen dann untergeht – Marcuse hat das „repressive Toleranz“ genannt.
 Im Übrigen wird „Pluralismus“ (also die Auffassung, gegensätzliche Urteile könnten zugleich wahr sein) so dogmatisch den Leuten durch Propaganda, also mit listenreicher Gewalt aufgezwungen, dass die Wahrheit gegenüber diesem schizophrenen Begriff als heillos schwach erscheint. Eine Wahrheit kann nur durch den sanften Zwang des triftigen Arguments eingesehen werden, wie schon Aristoteles wusste,  – oder eben nicht. Die gewaltsame Eintrichterung von Ideen wie in der ehemaligen Sowjetunion oder der Theokratie des Iran wirkt langfristig nur oberflächlich und hat zum Untergang dieser Regimes beigetragen bzw. wird dazu beitragen.

Der Nominalismus kommt bei Haag schlecht weg, warum nur ? Auch Haag
müßte sich damit auseinandersetzen, selbst nur einen kleinen
Weltausschnitt zu sehen, selbst wenn seine Worte mehr suggerieren.
Weltausschnitte, die sich in Subjekten festsetzen, sind verschieden und
manchmal soweit, dass es keine gemeinsame Sprache mehr geben kann.

Nun, um mit der gemeinsamen Sprache anzufangen: Ich verstehen Aristoteles jedenfalls besser als die Sonntagsreden von Frau Merkel – Aristoteles redet logisch schlüssiger.
Es tut mir Leid, das sagen zu müssen, aber wenn Sie sich weigern, die Argumente von Haag gegen den Nominalismus zur Kenntnis zu nehmen („warum nur?“), dann werden Sie auch meine Argumente überlesen oder verdrängen, sodass es eigentlich sinnlos ist, weiter zu argumentieren. In der Hoffnung, Sie doch noch erreichen zu können, hier das entscheidende Argument gegen den heute vorherrschenden Nominalismus des Linguistic Turns:
Sprache besteht unabhängig vom Inhalt lediglich aus den flatus vocis (Schall und Rauch bzw. Lauten und Druckerschwärze). Eine philosophische Richtung, die inhaltliche Philosophie ersetzen will durch Sprachanalyse, ist also eine Analyse von Lauten und Druckerschwärze, bei Ockham von Zeichen, die aber keinen Bezug mehr zur ontologischen Sache haben.
   Wenn Sie von „Weltausschnitten“ reden, dann haben Sie einen Begriff vom Ganzen, von der Totalität, denn ohne diesen gibt es keine „Weltausschnitte“. Warum aber wollen Sie dann jemanden kritisieren, der über das Ganze als Ganzes nachdenkt?

Auch dann nicht, wenn man in Lexika blättert. Wenn sich nicht konkrete
Menschen  über ihre jeweiligen Handlungen verständigen können die
Bedeutungen von Wörtern nicht fixiert werden.

Das Blättern in Lexika ist sinnlos, man muss Begriffe verstehen entgegen dem weitverbreiteten literarischen Analphabetismus (d.h. das Lesen-Können, ohne die Bedeutung zu verstehen) – und dazu können auch seriöse Lexika beitragen.
   Der Hinweis auf konkrete Handlungen und die Verständigung darüber ist wenig hilfreich, denn „konkrete Menschen“, Handlungen und Verständigung sind ziemlich abstrakte Begriffe, die ohne Eingehen auf etwas wirklich Konkretes so abstrakt sind wie Totalitätsausdrücke, etwa Seiendes – das alles Konkrete meint. Im Übrigen klappt Verständigung meist deshalb nicht, weil man keine Prinzipien hat, keine Wesensbegriffe und nur in den Erscheinungen herumtappt, wie es die Selbsthilfegruppe der 80er Jahre praktizierten.

Begriffe sind nun einmal nur Wörter und vage, unklar. Aber deswegen geht die Welt nicht unter.

Begriffe sind Bedeutungen und werden durch eine Definition dargestellt, Wörter sind Zeichen, materielle Träger, mit deren Hilfe wir uns über Bedeutungen verständigen.
   Umgekehrt gilt Ihre Aussage, wären die Begriffe, da, wo es darauf ankommt, vage und unklar, dann wären Sie und ich gar nicht am Leben, wir würden z. B. von jeder Autobahnbrücke stürzen, weil der Ingenieur, der sie baute, unklare Begriffe hatte, wenn es nur unklare Begriffe gäbe. Sie sollten ein bisschen mehr überlegen, was Sie sagen – gegen absurde Äußerungen kann man nicht argumentieren!

Demnächst, wenn ich das Buch durch habe, mehr davon.

Bitte nicht in dieser Pauschalität und Unbestimmtheit. Wenn sie Haag Fehler in einer konkreten Argumentation nachweisen, bin ich gern bereit mit Ihnen darüber zu diskutieren.

MfG
Wolfgang T.

Mit freundlichen Grüßen
B. Gaßmann

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