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Ethik und Moral Titel  punkt 3  nach oben

 Mai 2006

Bodo Gaßmann                Drucktext Button

Menschenrechtsfragen sind Vernunftfragen

 Eine Polemik gegen Robert Steigerwalds Artikel in der Jungen Welt von 11.4.06 mit dem Titel: „Menschenrechtsfragen sind Klassenfragen. Zur Geschichte und Aktualität der Diskussion um individuelle und kollektive Rechte“

(Sieh auch den Artikel: Prinzipielle und pragmatische Beziehung zu den Menschenrechten. Zur Diskussion um die Menschenrechtsverletzungen in Kuba)

Es liegt etwas Unanständiges darin, sich auf Karl Marx und Rosa Luxemburg zu berufen, um einen neuen Kalten Krieg gegen die Opfer des Stalinismus zu beginnen und die Menschenrechtsverletzungen an den Gegnern der Gerontokratie auf Kuba zu rechtfertigen.

 Steigerwald wirft Michael Brie vor, Rosa-Luxemburg-Zitate als „Wurfgeschosse im Kalten Krieg gegen Kuba“ einzusetzen (seine eigener Umgang mit Zitaten steht diesem Vorwurf in nichts nach). Man kann sich darüber streiten, ob es politisch sinnvoll ist, sich gerade Kuba herauszugreifen, um dort die Menschenrechtsverletzungen zu kritisieren. Nach dem „Jahresbericht 2005“ von amnesty international bewegen sich dort z.B. die Haftbedingungen für politische Gefangene etwa auf dem Niveau durchschnittlicher Diktaturen. Beklagt wird die schlechte ärztliche Versorgung von politischen Gefangenen, die drastischen Strafen bei Meinungsdelikten, gelobt wird die Verlegung von Gefangenen in die Nähe der Heimatorte. Die Todesstrafe wurde in diesem Zeitraum nicht angewandt (entgegen der Tendenz in den USA!). Wahrscheinlich haben die politischen Gefangenen ähnliche Menschenrechtsverletzungen auszustehen wie die im benachbarten Guantanamo auf US-amerikanischer Seite. Warum also nicht die USA kritisieren, die zugleich den Schutz der Menschenrechte heuchelt und sich als Hort der Demokratie stilisiert? Zumal Fidel Castro nicht mehr die Macht hat, mit der Möglichkeit eines Atomkrieges zu spielen wie 1962 während der Kubakrise.

 Was ich an Steigerwalds Artikel kritisiere, ist seine prinzipielle Ansicht über Menschenrechte, die schon in seiner Überschrift zum Ausdruck kommt. Die bürgerlichen Menschenrechte sind zwar das Resultat von Stände- und Klassenkämpfen, sie wurden gegen den feudalen Despotismus erkämpft, aber ihren Anspruch nach sollen sie für alle gelten – unabhängig von der sozialen Klasse, der jemand angehört. Dies war zunächst ein gewaltiger Fortschritt in der Geschichte. Diese allgemeine Geltung tut Steigerwald mit der Behauptung eines „klassenneutralen Menschenrechtsgeredes“ ab. Dabei kann er sich scheinbar auf Marx berufen, der in seiner Schrift „Zur Judenfrage“ (MEW 1) die Menschen- und Bürgerrechte kritisiert hat. Bei Steigerwald liest sich diese Kritik so:

 „Das ‚klassische’ Menschenrecht ist  in der bürgerlichen Literatur das der Freiheit, und diese wird auf die eine oder andere Weise immer so definiert, daß das Individuum frei handeln dürfe, solange es nicht die Freiheit anderer gefährde. Woraus Marx folgerte: Dann ist der andere die Grenze meiner Freiheit. Und weiter. Dann wäre ich ohne den anderen erst richtig frei! Und wir, die wir den Robison Crusoe gelesen haben, wie haben wir uns mit ihm gefreut, daß er schließlich einen zweiten Menschen an seiner Seite hatte (auch wenn er gleich den Freitag zu seinem Sklaven machte!). Was ist dieses ‚Mir geht nichts über mich!’ (Stirner) für eine Position? Der große Aristoteles hat den Menschen ein der Gemeinschaft bedürftiges Wesen genannt und geschrieben: Ein Mensch, der keines Mitmenschen bedarf, ist kein Mensch sondern ein Gott oder ein Tier. Der Mensch der bürgerlichen Freiheitsdefinition ist kein (!) Mensch, ein Gott wohl auch nicht, also ein Tier!“

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 Die Marxsche Kritik der Menschenrechte ist rational nur akzeptabel, wenn man sie vom „Kapital“ her liest, nicht wörtlich die Menschenverbrüderung hervorhebt. Verbrüderung, Glück, menschliche Wärme ist etwas zwischen Individuen, kein Staat, kein Recht, keine Politik kann so etwas verordnen. Eine sozialistische Politik kann dafür nur die Bedingungen schaffen – das kann man zum Beispiel aus den Diskussionen in der Aufklärungszeit erkennen. Deren Resultat war: Das Versprechen auf Glück, das noch in der amerikanischen Verfassung stand (und steht), wurde bewusst aus der französischen Revolutionsverfassung herausgehalten. Marx sitzt in diesem Aspekt seiner Schwärmerei auf. Richtig an seiner Kritik des bürgerlichen Freiheitsrechtes ist die mangelnde Fundierung in sozialen Rechten. Dies hebt Steigerwald zu recht hervor, wenn auch vereinfachend:

 „Die Bourgeoisie anerkennt dem Wesen nach lediglich ‚das Recht auf Privatbesitz’, ein individualistisches Recht. Alle sozialökonomischen Rechte der Werktätigen jedoch wurden und werden von ihr praktisch abgelehnt. Man stelle sich vor, was es bedeutete, stünde im Grundgesetz unseres Landes das Recht auf Arbeit als zu verbürgende Aufgabe? Was würde sich daraus für die Bundesrepublik mit ihren doch real mehr als sieben Millionen Arbeitslosen ergeben? Sie wäre, nein sie ist ein Staat ohne das grundlegende Menschenrecht, denn Arbeit ist die erste und nötigste Lebensäußerung des Menschen. Ganz anders verhielten sich die sozialistischen Staaten, ganz anderes verhält sich Kuba.“

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 Banalisierend sind diese Auffassungen nicht nur, weil sie die Arbeit an sich verherrlichen, ohne auf ihre gesellschaftliche Formbestimmtheit als Lohnarbeit einzugehen, also quasi die Ausbeutung aller arbeitsfähigen Menschen zu fordern, sondern auch im Zeitalter der Automation Arbeit als „erste und nötigste Lebensäußerung des Menschen“ (klassenneutral!) zu propagieren, anstatt das „Reich der Notwendigkeit“ (Marx) auf ein Minimum zu beschränken, freie Zeit als Bedingung der Selbstverwirklichung anzuvisieren, also konkret eine materielle Grundsicherung der Menschen als heutiges Ziel hinzustellen – soweit dies im Kapitalismus überhaupt möglich ist.

 Das entscheidende Marxsche Argument gegen das bürgerliche Freiheitsrecht ergibt sich erst aus seiner Kapitalanalyse: diese Freiheit ist die Freiheit über sein Eigentum zu verfügen. Dies führt unter kapitalistischen Bedingungen notwendig zur Kapitalakkumulation bei den Eignern, während die Masse der Lohnabhängigen bestenfalls ihre benötigten Lebensmittel auf den jeweiligen historischen Niveau erlangen kann. Dieser Prozess weitergedacht führt zur übermächtigen Ansammlung ökonomischer Mittel auf der Kapitalseite, die sich auch als übermächtige politische Mittel auswirken, so dass die Freiheit der großen Mehrheit immer mehr in Unfreiheit umschlägt. Bei Steigerwald kommt diese Tendenz nur als Verelendungsbild, also als Randphänomen vor. Er zitiert Anatol France: Jeder, sowohl die „erhabene Majestät“ wie der Arme, hat das Recht unter Brücken zu nächtigen.

 „Es ist möglich und nötig, auf der Grundlage der sozialen Menschenrechte das System der individuellen zu begründen und es ist zuzugeben, daß wir Sozialisten und Kommunisten an der Macht da noch vor mancher unbewältigten Hausaufgabe standen.“
 Dem will ich zunächst mit einem Bild kontern: Die Menschen im bürokratischen Kollektivismus waren danach gut gefütterte, im kollektiven Pferch sich gegenseitig wärmende Schweine, die sich im Kuschelstall wohl gefühlt haben – bis sie zur Schlachtbank geführt wurden. Denn ihnen fehlten die Freiheitsrechte, die den Wildsauen im Westen zu kamen, die aber dafür schon mal im kalten Winter des Konkurrenzkampfes erfroren und verhungerten. Mir scheint das beide Arten der Schweinerei stinken. Die Freiheitsrechte kann die Masse der Menschen nicht voll ausleben, weil sie nicht die nötigen Mittel dazu hat. Auch der Einzelne, der die nötigen Mittel hat,  kann sie nicht genießen, wenn sein Nachbar im Elend lebt. Die sozialen Rechte andererseits  nutzen wenig (und waren faktisch im Ostblock auf einem niedrigen Niveau), wenn mir meine Freiheitsrechte fehlen und eine hochwohlweisliche Obrigkeit über mich bestimmt. Steigerwald räumt dies verschämt im letzten Zitat ein, um aber sogleich diese Selbstkritik zurückzunehmen, indem er sich mit der herrschenden Klasse („Nomenklatura“, „Parteibürokratie“ usw.) identifiziert und sie als Sozialisten und Kommunisten glorifiziert.

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 Die herrschende Klasse der DDR und Steigerwald als einer ihrer Ideologen haben die Marxsche Kritik an den Menschenrechten in ihr Gegenteil verkehrt. Waren für Marx die Menschen- und Bürgerechte, die das Bürgertum gegen den Despotismus erkämpft hatte, ein „großer Fortschrift“ (MEW 1; S. 356), zielte seine Kritik auf die Weiterentwicklung und Ausweitung dieser Rechte durch ihre Fundierung in sozialen Rechten, die nur eine sozialistische Produktionsweise verwirklichen konnte, so hat die Parteibürokratie im stalinistisch geprägten Ostblock diese Kritik dazu missbracht, die Freiheitsrechte zu liquidieren, und den Sozialismus auf ökonomische Aspekte und Machtfragen zu reduzieren. Was soll man von einem Autor sagen, der die Zitierweise anderer beklagt und selbst seine Autoren verfälschend und ideologisierend wiedergibt.

 „Wir leben in einer vom Klassenantagonismus geprägten Welt. Ja, es gibt schwankende, es gibt Zwischenschichten und Übergangspositionen von der einen zur anderen. Aber es gibt nicht das charakterlose, prinzipielle Nichts. Alles andere ist eine Einbildung: Gibst du die Position  der Arbeiterklasse auf, gelangst du zumindest und zunächst auf die des Abgleitens hinein in die bürgerliche Position. Du magst dich für über den Klassen und Kämpfen stehend halten, magst hoffen, für derlei Verzicht auf klassenmäßig sozialistische Positionen bürgerliche Gratifikationen zu erhalten (was noch nicht einmal sicher ist!). Aber daß du zum Wurfgeschoß der Gegner des Sozialismus wirst, das ist schon offenbar und das kannst du nicht mit Objektivitätsphrasen abtun.“
 Was die „Position der Arbeiterklasse“ ist, hing in der DDR von denen ab, die über die Definitionsmacht verfügten und ihre Meinung in Wort und Bild verbreiten konnten. Das hatte mit der wirklichen Arbeiterklasse nichts zu tun. Selbst wenn man von objektiven Interessen ausgeht, die eine Klasse hat, so war dieses Interesse eines der Parteibürokratie über die Arbeiterklasse. Dagegen war Marx der Ansicht, dass sich der (objektive) Klassenstandpunkt der Arbeiter  mit den der politischen Vernunft, nämlich dem Streben nach der Einrichtung einer menschenwürdigen Gesellschaft (mit sozialer Sicherheit und Freiheit) decken würde. Steigerwald dagegen beschimpft den Standpunkt der Vernunft als „Objektivitätsphrasen“, als „das charakterlose, prinzipienlose Nichts“, die Anhänger der Vernunft als „Zwischenschichten“.

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 Seine Formel von der „Position der Arbeiterklasse“ war die ideologische Phrase der Parteibürokratie, mit der sie der Arbeiterklasse ihre Freiheit nahm, ihr Denken versuchte zu verblöden und diejenigen, die es wagten, dies zu kritisierten, ins Gefängnis warf. Wie weit dieser ideologische Betonkopf Steigerwald selbst noch im „Kalten Krieg“ befangen ist, zeigen seine SED-typischen Verunglimpfungen: Menschen, die von links den „real existierenden Sozialismus“ kritisieren, sind entweder „wohlmeinende Sozialismus-Verbesserer“ oder käufliche Subjekte, die auf „bürgerliche Gratifikationen“ schielen. Wer die Menschenrechtsverletzungen in Kuba kritisiert, wird ironisch abgefertigt, er wolle „Endlich auf Kuba den chemisch reinen, feinen, wahren Vorzeigesozialismus entstehen lassen“. Wer sowohl gegen die kapitalistische Herrschaft als auch gegen die einer neuen Klasse wie ehemals in der DDR ist, wer also gegen Herrschaft überhaupt ist wie Marx, der ist ihm „das charakterlose, prinzipienlose Nicht“, das in Wahrheit eine bürgerliche Position wäre.

 In diesem Text tritt uns ein reaktionärer Betonkopf entgegen, der seinen „Klassenauftrag“ weiterführt, obwohl seine Klasse, die Nomenklatura, sang- und klanglos untergegangen ist. Hier redet einer aus der Hauptverwaltung Wahrheitsverdrehung. Das ist tote Ideologie einer toten Klasse aus einem toten Staat. Lassen wir die Toten ihre Toten begraben und beschäftigen wir uns mit den Lebenden, z.B. auch mit denen in kubanischen Gefängnissen, in den US-amerikanischen auf Guantanamo wie in denen des Castro-Regimes. Hinter die  Menschenrechte, so verbesserungswürdig sie im einzelnen auch sind, darf man nicht zurückfallen. Solange es keine besseren gibt, sind sie Mindeststandard auch im Klassenkampf zwischen den wirklichen Arbeitern und den Funktionären des Kapitals.  Sie gelten unteilbar für alle.

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Prinzipielle und pragmatische Beziehung zu den Menschenrechten

Zur Diskussion um die Menschenrechtsverletzungen in Kuba

 In der Polemik von Bodo Gaßmann gegen Robert Steigerwald wurde es offen gelassen, ob eine Resolution des Europäischen Parlaments gegen Menschenrechtsverletzungen auf Kuba von linken Abgeordneten unterschrieben werden sollte oder nicht. Dem Autor war die Debatte nicht bekannt, er bezog sich lediglich auf die prinzipiellen Aussagen von Robert Steigerwald . Inzwischen haben wir die Debatte, soweit sie vor allem in der Jungen Welt dokumentiert ist, nachvollzogen, und wollen die allgemeine Problematik, ob, wie, wann und unter welchen Bedingungen die Linke zu Menschenrechtsfragen Stellung nehmen sollte, von Seiten der „Erinnyen“ aus klären.
 Zunächst die Fakten: Die EU gibt Dissidenten, den „Damen in Weiß“, in Kuba einen Menschenrechtspreis. Diese Dissidenten dürfen nicht aus Kuba ausreisen, was das EU-Parlament mit einer Entschließung beantwortet, in der Kuba verurteilt wird, weil „in Kuba immer noch Menschen wegen ihrer Ideale und ihrer friedlichen politischen Tätigkeit in Gefängnissen einsitzen“, und es wird gefordert, die Grundfreiheiten und insbesondere die Meinungs- und Versammlungsfreiheit uneingeschränkt zu achten (Junge Welt v. 9.2.06, S. 3). Von den Abgeordneten der Linkspartei, die im EU-Parlament sitzen, haben drei (Andre Brie, Helmut Markov, Gabriele Zimmer) dieser Resolution zugestimmt, zwei (Sylvia-Yvonne Kaufmann, Feleknas Uca) haben sich enthalten, eine (Sahra Wagenknecht) hat dagegen gestimmt, ein Abgeordneter (Tobias Pflüger) nahm nicht an der Abstimmung teil. Die Zustimmung der drei Abgeordneten hat eine wüste Diskussion ausgelöst, die von Beschimpfungen (Arroganz, Dummheit, Verrat, Hetze) über „Enttäuschung und Sorge“ bis zu uneingeschränkter Zustimmung reicht, ohne dass die grundsätzliche Problematik ausreichend reflektiert wurde.
 Diese grundsätzliche Problematik, wie eine Linke politische mit Menschenrechtsfragen umzugehen hat, besteht darin, dass sie einmal für die Anerkennung der Menschen- und Bürgerrechte überhaupt einzutreten hat und dass daraus ihr politisches Engagement für diese Rechte folgen muss. Zum anderen sind bei der Umsetzung dieser Auffassung in politisches Handeln auch die Bedingungen,  unter denen gehandelt wird, einzubeziehen.

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 Die Rolle der Menschenrechte
 Zu der grundsätzlichen Anerkennung der Menschen- und Bürgerrechte verweisen wir auf die Polemik von Gaßmann gegen Steigerwald. So unzulänglich diese Rechte, insbesondere in ihren sozialen Aspekten auch sind, so darf eine Linke nicht hinter diese Rechte zurückfallen und, wie es in der Diskussion von vielen Beiträgen gemacht wurde, das Castro-Regime in Kuba verherrlichen. Dort werden die Menschenrechte verletzt, dort werden Menschen bloß wegen politischer Meinungsäußerungen eingesperrt, dort werden Menschen in den Gefängnissen unmenschlich behandelt – bis hin zur Folter. Dagegen kann man auch nicht die sozialen Errungenschaften wie ausreichend Milch für die Kinder, für ökonomisch unterentwickelte Länder vorbildliche medizinische Betreuung, hohen Bildungsstandard oder den US-amerikanische Handelsboykott aufrechnen.  Wenn bei Sahra Wagenknecht das „kubanische Volk“ als handelndes Subjekt erscheint, dann ist das entweder naiv oder eine bloße Propagandaphrase. Ein Regime, das seine Bevölkerung die politische Meinungsfreiheit entzieht, d.h. den Oppositionellen zur Regierungspolitik, die Jasager brauchen keine besondere Meinungsfreiheit, macht es unmündig, um nicht zu sagen, es erklärt seiner Bevölkerung den Krieg. Wenn Wagenknecht vom „sozialistischen Kuba“ spricht, dann reduziert sie Sozialismus auf Machterhaltung und staatliche Verfügung über die Produktionsmittel, d.h. auf eine herrschaftlich verfasste Gesellschaft, die keine qualitative Alternative zu den bisherigen Herrschaftssystemen in der Geschichte darstellt.
 Die Bedingungen des Handelns – der politische Umgang mit Recht und Moral
 Wollte man vernunftgeleitete Prinzipien wie die Menschenrechte unbedarft,  wie Brie u.a. mit ihrer Unterschrift dokumentieren, in die gesellschaftliche Wirklichkeit umsetzen, dann setzt man diese soziale Wirklichkeit als vernünftig voraus, denn nur unter vernunftadäquaten Bedingungen lassen sich Ideale, mehr als Ideale sind sie teilweise auch in den demokratischen Ländern des Kapitalismus nicht, eins zu eins verwirklichen. Die Einsicht in die Vernünftigkeit der Menschenrechte ist noch kein Grund, eine Resolution gegen Kuba im Europäischen Parlament zu unterschreiben. Andererseits sind die gewaltförmigen Verhältnisse im Kapitalismus auch kein Grund die Menschenrechte zu verhöhnen und ein gewaltförmigeres Agieren als im demokratischen Kapitalismus zu rechtfertigen. Denn, wenn in den eigenen Zwecken nicht eine qualitative Differenz zum Kapitalismus deutlich wird, dann unterscheidet eine solche sozialistische Politik sich nicht von denen der Rackets und Warlords, die ihre Klientel materiell befriedigen wollen, damit sie bei der Stange bleiben. Sozialismus ist dann eine bloße ideologische Phrase. Stimmt man dem zu, dann müssen die qualitativ das Bestehende überschreitenden Zwecke auch in den Mitteln der aktuellen Politik anwesend sein.

 Die pragmatische Regel des Handelns
 In seinem Buch „Ethik des Widerstandes“ hat Bodo Gaßmann eine pragmatische Regel aufgestellt, die das Dilemma von bloßer Gesinnungspolitik oder bloßer Machtpolitik ohne qualitative Differenz zum Bestehenden versucht zu schlichten, soweit dies unter antagonistischen Bedingungen überhaupt möglich ist. Statt Moralgesetz könnte man auch Menschen- und Bürgerrechte einsetzen:
 „1. Haben Revolutionäre die Wahl zwischen verschiedenen Mitteln, dann wählen sie diejenigen, die dem Moralgesetz am adäquatesten sind. Da aber die Bedingungen des Handelns von den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen sowie den dominierenden politischen Gegners bestimmt werden, gilt: 2. Es müssen, wenn es notwendig ist, auch unmoralische Mittel erlaubt sein. Da die Mittel auch den erstrebten Zweck zerstören können, gibt es eine absolute Grenze des pragmatischen Handelns: 3. Nicht alle Mittel sind den Veränderern erlaubt.“ (Garbsen 2001, S. 140)
 Auf die Unterschriften unter die Resolution des EU-Parlaments angewandt, bedeutet dies: Wer dieser Resolution mit dem Argument unterschreibt, dass man „von der Universalität der Menschenrechte auszugehen“ habe, wie Andre Brie und Dietmar Bartsch es begründen (Junge Welt v. 17.2.06, S. 8), handelt naiv und dümmlich (Dummheit ist Mangel an Urteilskraft, nicht mit Intelligenz (= schnelles Denken) zu verwechseln) – oder er hat andere Ziele als die Umwandlung der Gesellschaft in eine sozialistische. Schon die Tatsache, warum man nicht gegen die Verletzung der Menschenrechte auf Sri Lanka oder in Pakistan protestiert, sondern gegen die auf Kuba, sollte zu der Erkenntnis führen, dass  Menschenrechtsfragen von den imperialistischen Regierungen und ihren Politikern als Waffe gegen unbotmäßige Regierungen eingesetzt wird, ja sogar Kriege wie der gegen Jugoslawien mittels Menschenrechtsargumenten begründet werden, obwohl es um das Geschäft geht als Maßstab für genehme oder unbotmäßige Staaten. 
 In Kuba sind die Produktionsmittel verstaatlicht, Kapitalanlagen, Außenhandel und Rohstoffquellen wie Nickel und Zuckerrohr werden staatlich teils im nationalen Interesse, teils im Interesse der dortigen Parteibürokratie reglementiert. Kuba öffnet sich nicht der globalen „Freiheit des Kapitals“ zu investieren und sich wieder zurückzuziehen mit allen negativen sozialen Begleiterscheinungen. Deshalb ist es ein Fremdkörper in der pax americana, ebenso für die kapitalistisch bestimmte EU. Der Kampf der prokapitalistischen EU-Politiker gegen Kuba steht partiell in Rivalität zu den USA und bewegt sich anscheinend auf der Menschenrechtsschiene. Obgleich in der EU vor allem die politischen Menschenrechte immer mehr eingeschränkt werden (vgl. unsere Rezension von „Das Ende des Rechtsstaats“), wird heuchlerisch die Menschenrechtsfrage in Kuba kritisiert. In diesem Zusammenhang scheint uns die Einladung der „Damen in Weiß“ aus Kuba zu stehen, denen ein „Sacharow-Preis für geistige Freiheit“ verleihen wurde und denen von der Kubanischen Regierung die Ausreise verweigert wurde.

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 Ein Abgeordneter einer sozialistischen Partei kann in dieser Situation keine Anti-Kuba-Resolution unterschrieben, ohne sich zum Handlanger der imperialistischen Interessen zu machen. Mit dieser Schlussfolgerung ist aber kein politischer Persilschein für das Castro-Regime ausgestellt. Dies machen aber Sahra Wagenknecht, der Parteivorstand der Linkspartei.PDS und andere. In der Resolution „Solidarität mit Kuba“ steht nichts von den Menschenrechtsverletzungen auf Kuba, es wird lediglich darauf verwiesen, dass man mit der kubanischen Führung darüber spreche (http://sozialisten.de), stattdessen wird unkritisch die „kubanische Revolution“ verherrlicht. Hämisch kann ihnen der CDU-Funktionär Arnold Vaats vorhalten, sie seien Feinde der grundlegenden Menschenrechte und der Demokratie (Junge Welt v. 10.3.06, S. 8). So objektiv heuchlerisch diese Kritik von einem CDU-Funktionär auch ist, selbst wenn er es subjektiv ehrlich meinen sollte, so trifft sie doch eine Schwachstelle bei der Mehrheitsfraktion im Bundesvorstand der Linkspartei.PDS, dessen Kritik an Brie, Markov und Zimmer nicht deren Naivität und politischen Fehler kritisiert, sondern tatsächlich „die Suspendierung von Demokratie, freien Wahlen, Parteienvielfalt, Meinungsfreiheit und grundlegenden Menschenrechten nach wie vor für eine akzeptable politische Option hält“, wie der CDU-Funktionär es formuliert. Es ist also nicht nur das Argument der „Glaubwürdigkeit“ und der „Universalität der Menschenrechte“, sondern in dieser Partei existiert tatsächlich noch eine autoritäre Unterströmung, bzw. diese wird mit der Resolution des Parteivorstandes bedient. So erscheint Kuba als letzter Ort der DDR, der nicht untergegangen ist.
 Diese Leute haben aus den Fehlern, mit denen die SED ihren Staat vermasselt hat, nichts gelernt. Wer vierzig Jahre lang die politische Meinungsfreiheit unterdrückt, der darf sich nicht wundern, wenn sich die vierzig Jahre lang manipulierte Bevölkerung bei der ersten Gelegenheit von ihren Manipulateuren abwendet. Es ist Andre Brie zuzustimmen, wenn er sagt: „Die PDS hat trotz vieler Erklärungen kein wirkliches Verhältnis zu Menschenrechten entwickelt. Die Fehler der Vergangenheit sind nicht überwunden worden.“ (Junge Welt v. 2.3.06, S. 8)  Doch seine berechtigte Kritik an dieser „rückwärtsgewandte(n) Politik“ kann nicht heißen, auf die prokapitalistische Menschenrechtsrhetorik zur Abschaffung der sozialen Menschenrechte in Kuba hereinzufallen, wie es bei ihm und den beiden anderen Abgeordneten mit ihrer Unterschrift der Fall war.

Fazit
 Eine sozialistische Linke, die wirklich die kapitalistische Produktionsweise bekämpfen will, kann nicht hinter die Standards des bürgerlichen Zeitalters zurückfallen, so prekär diese auch immer waren und sind. Sie hat diese weiterzuentwickeln und auf ihre Durchsetzung zu drängen, ohne dadurch in die Menschenrechtsheuchelei prokapitalistischer Politiker einzustimmen. Diese Position hätte sie in einer eigenen Resolution deutlich machen müssen. Dazu waren aber weder Sahra Wagenknecht und der Bundesvorstand der Linkspartei noch die drei Unterzeichner der EU-Resolution fähig.
Quelle der Zitate aus der Jungen Welt: http://www.jungewelt.de  (Fremdseite)

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