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Bodo Gaßmann
Vom kritischen Theoretiker
zum Kanzler-Berater
Ein Nachruf anlässlich des Todes von Oskar Negt
Nachrufe schreiben Zeitungsleute, die einer öffentlichen Person gedenken, Weggefährten und Freunde. Freunde können aber nur die sein, die in Gedanken mit dem Toten übereingestimmt haben. Plato amicus, magis amica veritas. Man ehrt die Leistung eines Philosophen am besten, wenn man sein Werk betrachtet und beurteilt. Dazu gehört die Kritik daran, zumal Negt Generationen von angehenden Akademikern geprägt hat. Als Negt in Hannover ankam und eine Professorenstelle übernahm, wurde er von dem konservativen Lehrkörper dieser Universität äußerst misstrauisch bis feindselig angesehen. Dahinter stand eine Kritik, die mehr auf (rechtem) Bekenntnis beruhte, die „Verfallsform der Philosophie“ (Hegel), als fundiert zu sein. Dagegen wird hier immanent sein Werk betrachtet (soweit sich der Verfasser damit beschäftigt hat. Nach dem Erscheinen von „Geschichte und Eigensinn“ hat der Verfasser dieser Rezension das Lesen von Negt-Texten weitgehend eingestellt.) Die Höflichkeit verlangt, nichts Schlechtes über einen Toten zu sagen, aber wenn dieser als bekannte Person der geistigen Öffentlichkeit mit seinen Schriften das Bewusstsein vieler Menschen deformiert hat, dann kann diese Regel nicht gelten.
Zweifellos hat Negt Verdienste für eine kritische Theorie, etwa mit seinem Buch über Arbeiterbildung oder zusammen mit Kluge „Öffentlichkeit und Erfahrung“ erworben, in denen für eine sozialistische Linke nützliche Einsichten stehen. Auch seine Analyse des Sowjetmarxismus ist lesenswert. Jedoch zeigen sich bereits in diesen Werken die grundlegenden theoretischen Unzulänglichkeiten seiner philosophischen Position.
Als ich mich in den 70er Jahren mit Philosophie zu beschäftigen begann, habe ich auch die Negt-Vorlesungen über Kant gehört, die 2020 unter dem Titel „Politische Philosophie des Gemeinsinns. Moral und Gesellschaft: Immanuel Kant“ erschienen sind. Negt hat mich für Kant und die Aufklärungsphilosophie begeistert. Aber als ich dann Kant selbst gelesen habe, hatte ich plötzlich eine ganz andere Vorstellung von ihm. Beim heutigen Durchblättern dieses Manuskripts von Negt fällt mir auf, dass er unsystematisch aufgeführte Aussagen von Kant kurzschlüssig auf die gesellschaftlichen Verhältnisse bezieht, sie sozusagen soziologisiert. So ist ihm das transzendentale Ich der Citoyen und das empirische Ich der (Wirtschafts-)Bürger (Negt: Immanuel Kant, S. 341). In der Fundierung der menschlichen Erkenntnis, die Kant anstrebt, „artikuliert sich das Sicherheitsbedürfnis des Bürgers Kant“ (a. a. O., S. 312). Mit Adorno bezeichnet er dies als „Fundierungswahn“ (S. 312). Damit geht Negt über eine 400jährige Erkenntnisreflexion nonchalant hinweg – solche Beurteilung ist letztlich nur Blödsinn.
(Aus Wikipedia)
Die Selbsteinschätzung von Kants theoretischer Philosophie als transzendentaler Idealismus, der zugleich ein empirischer Realismus ist (Kant: KrV, S. A 371) wird an vielen Stellen verwässert, sodass das Erfahrungselement das Entscheidende wird und letztlich Kant „eine Art sekundärer Positivismus“ vorgeworfen wird. Negts historischer Relativismus kulminiert in der Aussage: „Nur eine Theorie, die selbst geschichtlich ist, kann geschichtlich wirken. (…) Übergeschichtliche Kategorien hingegen wirken in dem Sinne nie geschichtlich.“ (Negt: Immanuel Kant, S. 16) Das heißt für Negt, dass es keine objektive Beziehung zwischen Kant (und Hegel) zu Marx gibt. (Vgl. dagegen Kuhne: Marx und Kant) Die Theorie von Marx müsse selbst revidiert werden. „Jenen Aberglauben, es gäbe eine objektive Beziehung der Theorien oder der Philosophie von Kant und Hegel zu Marx und anderen, gilt es zu zerstören.“ (Immanuel Kant, S. 15) Wie im Existenzialismus von Heidegger und Hannah Arendt ist die Geschichte der Philosophie keine Entwicklung zur Wahrheit, wie Hegel annahm, sondern lediglich eine Abfolge von willkürlichen Gedanken, aus deren Reservoir sich der heutige Intellektuelle beliebig bedienen kann. Eine solche Willkürphilosophie oder ein solch grundlegender Skeptizismus drückt sich dann bei seinen Anhängern als Denunziation derer aus, die auf Wahrheiten bestehen: „Du hast wohl die Wahrheit gepachtet…“ (so ein Famulus von Negt und Kollege von mir.)
Eine methodisch wahre und verständliche Interpretation eines großen Denkers müsste erst einmal dessen Gedanken immanent darstellen, deren Widersprüche herausarbeiten und von dessen Aporien ausgehend die wahren Momente dieser Philosophie hervorheben und weiter entwickeln. Diesen methodischen Gang der Sachdarstellung wischt Negt beiseite und verbindet Gedanken Kants mit der Willkür seiner soziologisierenden und historisierenden Einfälle. Dem angeblichen „akademischen Objektivismus“ (Negt: Immanuel Kant, S. 13) setzt Negt seinen psychologischen und soziologischen Subjektivismus entgegen.
Nach der nominalistischen Kritik an der traditionellen Ontologie (Platonismus und Aristotelismus) stand die Philosophie vor der Aufgabe, eine neue Art von Objektivität in das Denken zu bringen – gegen den unhaltbaren Skeptizismus und Relativismus. Beide, auf sich selbst angewandt, enthalten einen Selbstwiderspruch. Diese Aufgabe kann man sich an den Kategorien des Denkens (Allgemeines, Besonderes, Ursache und Wirkung usw.) verdeutlichen. Der Rationalismus (Descartes, Leibniz, Wolff) ging von der Tradition aus und behauptete die Kategorien als eingeboren. Damit wurden sie naturalistisch oder theologisch gerechtfertigt. Beides aber ist vor einer reflektierten Vernunft nicht haltbar. Der Empirismus reflektierte psychologisch unser individuelles theoretisches Denken. Die sich darin offenbarenden Kategorien hatten aber nur einen empiristischen Rang, d. h. ihre Verallgemeinerung war bloß hypothetisch, kein sicheres Fundament des Denkens. Erst Kant hat eine sichere Begründung der Kategorien geleistet, auch wenn ihre Ausführung noch unvollständig war. Wir haben wahre Wissenschaften: reine Mathematik, reine Naturwissenschaft. „Von diesen Wissenschaften, da sie wirklich gegeben sind, läßt sich nun wohl geziemend fragen: wie sie möglich sind; denn daß sie möglich sein müssen, wird durch ihre Wirklichkeit bewiesen.“ (Kant: KrV, S. 52/B 20) Die Newtonsche Mechanik und die Mathematik sind wahre Wissenschaften, sie haben sich in der Wirklichkeit bewährt, in der Astronomie und in der beginnenden Industrialisierung. Dann sind aber auch die Kategorien, die ihnen zu Grunde liegen, wahr. Oder mit Kants Worten: Sie sind die erkenntnismäßigen Bedingungen der Möglichkeit wahrer Wissenschaft. Kant nennt diese Begründung „transzendental“, seine Kritik der reinen Vernunft ist dann Transzendentalphilosophie (und kein Sicherheitsbedürfnis des Kleinbürgers Kant, wie Negt meint). Diese Erkenntnisleistung Kants zu psychologisieren hat den gleichen Rang wie von seinem verstauchten Fuß auf das Streben nach Transzendentalphilosophie zu folgern. Wie idiotisch dies ist, zeigt sich auch daran, dass Negt diese Kategorien ständig in seinen Texten anwendet, sonst wäre er gar nicht verständlich.
Auch in seiner Schrift über Arbeiterbildung macht Negt die hier genannten theoretischen Fehler, bis zur Wissenschaftsfeindlichkeit. Bei der „sozialrevolutionären Emanzipation der Menschen“ „geht es keineswegs um die Fixierung imaginärer, durch Moral oder Gerechtigkeit legitimierter geschichtlicher ‚Endziele‘“ (Negt: Soziologische Phantasie, S. 87, zitiert nach Gaßmann: Manifest, S. 133) Solche Positionen laufen auf eine Hypostasierung des Individuums hinaus, das letzte ontologische Residuum, und auf die Reduktion von Allgemeinbegriffen auf individuelle subjektive Setzungen. (Ebd.) Das wird direkt ausgesprochen von Negt/Kluge in ihrem Buch „Öffentlichkeit und Erfahrung“, indem sich die Autoren direkt auf den „revoltierenden Nominalismus“ (Mensching) der marxschen Frühschriften beziehen. „Der Begriff des Bewußtseins bei Marx ist aus seiner Kritik an Hegel entwickelt, bei dem Bewußtsein durchaus nicht bloßes bewußtes Sein ist und sich auch nicht auf die Denktätigkeit von Individuen beschränkt. Marx verwendet Bewußtsein ohne genaue Abgrenzung vom tatsächlichen Handeln der Individuen. Bewußtsein des Proletariats ist gleichzeitig Aktion.“ (Negt/Kluge: Öffentlichkeit und Erfahrung, S. 411, zitiert nach Gaßmann: Manifest, S. 134) Danach kann man alles im akademischen Bereich behaupten, wenn es nur mit einer elaborierten Sprache oder dem entsprechenden Fachjargon vorgetragen wird, sodass man sich jeden Schwenk in den gesellschaftlichen Möglichkeiten oder in der eigenen Opportunität anpassen kann, um seine Karriere zu sichern.
Die Kritik von Peter Bulthaup an diesem Subjektivismus hat Negt mit Beschimpfungen gekontert. Negt wirft Bulthaup vor, „eine Art Pol Pot der Kritischen Theorie“ zu sein, der sich wie ein Scharfrichter“ aufführt (Bulthaup in: Erinnyen Nr. 7, S. 16). Peter Bulthaup kommentiert diese Denunziationen. „Es wird an der Theorie Pol Pots nicht kritisiert, daß sie auf falschen Vorstellungen beruhe, sondern daß sie eine stringente Theorie sei. Damit ist jede theoretische Anstrengung erspart. Es wird am Stalinismus nicht kritisiert, daß er von falschen Vorstellungen ausgegangen ist, daß diejenigen, die Stalin unterstützt haben, eine falsche Vorstellung von der Möglichkeit eines Sozialismus in einem Lande im Kopf hatten und versucht haben, diese falsche Vorstellung dann durchzusetzen, sondern, daß sie überhaupt eine Theorie hatten. (…) Man braucht gar keine Kritik an den Vorstellungen, die die Leute hatten, sondern sagt einfach: die hatten eine geschlossene Theorie, haben versucht ihre Praxis an dieser Theorie zu orientieren und das führte zwangsläufig zum Terror. Herr Negt, der ja seinem eigenen Bekunden nach Adornos Texte zur Kenntnis genommen und an dessen Lehrveranstaltungen teilgenommen hat, kommt gar nicht auf die Idee, daß solcher Formalismus der Denunziation ein erkenntnistheoretisch abgesichertes Stück bürgerlicher Ideologie ist.“ (S. 17 f.)
Ein weiterer Vorwurf gegen stringente Theorie lautet, Bulthaup würde sich als „Transzendentalpolizei“ aufführen. Das ist bereits immanent falsch, denn von jedem Gedanken die erkenntnistheoretische Legitimation zu verlangen, ist unmöglich, weil die Erkenntnis der Erkenntnis keinen bestimmten Inhalt hat. Nur der Gegenstand, die Sache, oder die Materie wie Kant sagt, kann die Wahrheit einer Aussage oder Theorie begründen – dieser Gegenstand ist aber nicht erkenntnistheoretisch zu deduzieren. Obwohl Negt die Erkenntnisreflexion als „Transzendentalpolizei“ denunziert, fällt er selbst mit seiner „Denkweise“ (S. 16) auf den Mangel an Erkenntnisreflexion herein, wenn er schreibt: „Aber das Material ist für mich nicht das Entscheidende, ob das nun am ästhetischen Material entwickelt wird oder an der Arbeiterbildung.“ (S. 16/19) Die Reduktion des Denkens auf Methode, die das Material als gleichgültig ansieht, ist nicht harmlos. Der aus der Negt-Schule propagierte und in die Schulpädagogik eingeflossene Begriff der „Kompetenz“ hat viel Unheil bei den Kindern angerichtet. (Vgl. Türcke: Lehrerdämmerung.)
Negt will nicht mehr den Kapitalismus abschaffen, sondern ihn nur reformieren. Ein Internetschreiber drückt dies so aus: „Negts Ideen gehen von den momentanen Machtverhältnissen unserer Gesellschaft aus. Er spricht dabei von zwei Ökonomien. Die erste Ökonomie folgt den Gesetzen des Marktes. Die zweite Ökonomie, die sich nicht nach den Regeln des Marktes richten soll, befasst sich mit dem Gemeinwohl der Gesellschaft. Negt möchte dazu nicht die Eigentumsverhältnisse ändern, er vertritt vielmehr eine linkssozialdemokratische Position, die dem Kapital Grenzen setzen will.“ (Wikipedia) Die Zweiteilung abstrahiert davon, dass das „Gemeinwohl“ immer schon das des Kapitals als Ganzem ist – selbst da wo soziale Zugeständnisse gemacht werden. Auch die römischen Patrizier mussten die Plebejer ruhigstellen. Die Grenzen, die dem Kapital gesetzt werden, sind in seinem eigenen Interesse, sonst würde es gar nicht existieren können, d. h. es würde durch seine Konkurrenz in einen Bürgerkrieg sich selbst paralysieren. Was in dieser Zweiteilung außen vor gelassen wird, ist – ähnlich wie bei Habermas Zweiteilung in „System“ und „Lebenswelt“ – die grundlegende Negativität und Unmoral der kapitalistischen Gesellschaft als Ganzer. Während die kritische Theorie sich von der traditionellen hauptsächlich darin unterscheidet, dass sie Herrschaft als anonyme des Kapitals denunziert, wird bei Habermas und Negt Herrschaft legitimiert.
Man kann ja argumentieren: Ich lebe im kapitalistischen Zeitalter, eine praktische Alternative besteht dazu nicht, da es keine massenhafte Bewegung für eine vernünftig bestimmte Ökonomie („Sozialismus“) gibt, also muss ich mich anpassen an dieses System, um einigermaßen leben zu können. Etwas anderes jedoch ist es, diese Anpassung theoretisch zu rechtfertigen, noch dazu mit dem kritischen Vokabular der Emanzipationsbewegung. Der theoretische Rückzug auf sozialdemokratische Reformpolitik, den Arzt am Krankenbett des Kapitalismus spielen, verlängert die Krankheit, beseitigt sie aber nicht. Im Gegensatz dazu wollte auch Rosa Luxemburg Reformen, aber immer mit dem Hinweis, dass eine wirkliche Lösung der Probleme nur durch eine Revolutionierung der Verhältnisse möglich ist. Eine solche Auffassung ist das Gegenteil einer theoretischen Anpassung an das bestehende Falsche, das dann in seiner Negativität noch nicht einmal erkennbar ist. Das wird schlagend am Begriff der Würde deutlich, den Negt gebraucht. „In seinem Buch ‚Arbeit und menschliche Würde‘ beschreibt Negt, dass die faktischen Auswirkungen andauernder Arbeitslosigkeit einen Gewaltakt darstellen, der Millionen Menschen ihrer Würde beraubt und dies, obwohl die Industriestaaten heute so reich sind wie nie zuvor.“ (Wikipedia) Negt schreibt, dass der Begriff der Würde früher nur für Standespersonen galt, durch die Aufklärungsphilosophie insbesondere die von Kant jedoch auf alle Menschen verallgemeinert wurde. Dies ist wieder eine Soziologisierung und Historisierung des Begriffs ‚Würde‘ mit der Absicht, ihn zu entschärfen. Für Kant bedeutet die „Würde eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetze gehorcht, als dem, das es zugleich selbst gibt.“ (Kant: GMS, S. 67/BA 77) In der kapitalistischen Arbeitswelt jedoch muss man einem verselbständigten Zweck, die Produktion von akkumulierbarem Mehrwert, und deren nicht beherrschbaren Gesetzen folgen, die den Arbeitenden von seinem Produkt entfremden, das in Form von Herrschaft negativ auf ihn zurückschlägt und ihn verdinglicht, d. h. letztlich als bloße Sache ansieht und behandelt. Wenn für Negt es zur Würde gehört, einer Lohnarbeit nachzugehen, dann ist das vergleichbar mit Orwells Neusprech, in dem Frieden Krieg bedeutet.
1992 schrieb die Zeitschrift „Erinnyen“ entsprechend dem Thema dieser Ausgabe, „Vom Versagen des intelligiblen Charakters“: „Für denjenigen, für den dianoetische Tugenden wie schlichte Wahrheitsliebe nie von Bedeutung war, dessen Charaktereigenschaften, die durch das Bestehende geprägt sind, seinen theoretischen Impetus bestimmte, anstatt sich auf eine gewisse Autonomie des Denkens seinen empirischen Bedingungen gegenüber hinaufzuarbeiten, der wird eine Theorie abschwören, wenn der Zeitgeist ihm das suggeriert, der wird seine ideelle Identität woanders suchen, wenn seine Ideologie keine Gewehrläufe mehr hinter sich hat oder kein Geld mehr für Publikationen fließen.“ (S. 3) Die Nachrufe auf den Tod von Negt bestätigen diese Feststellung. Die Wirkung dieses Sozialphilosophen war mächtig, weil man mit ihm den Kapitalismus affirmieren konnte und doch sich als Progressiver oder kritischer Theoretiker gerieren konnte. Mit solch einer theoretischen Position konnte man auch im akademischen Bereich, im Schulsystem oder im Medienbetrieb Karriere machen.
Da die meisten Menschen kein Bedürfnis nach stringenter Theorie haben, kennen sie auch keine solche. Sie lesen Theorieprodukte nach Schlagworten, die sie persönlich angehen. Dadurch fallen sie auf die Texte von Negt herein und huldigen ihn dogmatisch. Die Rezipienten, die sich ihm intellektuell angeschlossen haben und Karriere mit seinen Ideen gemacht haben, sind unfähig, Kritik zu ertragen, und sehen diese als Angriff auf ihre intellektuelle Existenz.
Negt gehört zu den philosophischen Denkern, die das emanzipatorische Bewusstsein der kritischen Theorie verwässert, dekomponiert und destruiert haben, indem sie die kritischen Begriffe umgedeutet haben. Und zwar nicht weil sie neue Erkenntnisse oder neue Argumente hatten, sondern weil sie das Denken tendenziell auf die subjektive Erfahrung restringierten und so ihrem Opportunismus freien Lauf lassen konnten. Wenn die gegenwärtige Klassengesellschaft eine Entwicklung zum freiheitlichen Sozialismus zeitweilig verbaut, dann ist es kein Grund für einen Intellektuellen, solch eine Forderung nach realer Freiheit der ganzen Gesellschaft, nach deren Autonomie, nach dem Vorherrschen der zwecksetzenden Vernunft, nach Abschaffung von Herrschaft usw. aufzugeben. Solche anti-vernünftigen Tendenzen hat man zurecht als Verrat der Intellektuellen charakterisiert. Negt gehört zu diesen.
Es versteht sich von selbst, dass solch ein SPD-Mitglied wie Oskar Negt immer einen Ehrenplatz auf den Parteitagen dieser Partei innehatte. „Unter seinem langjährigen Weggefährten Gerhard Schöder (SPD) avancierte Negt schließlich zum Kanzlerberater“ (und was ist mit dem kritischen Impetus?) „– obwohl er Schröders Agenda-Politik deutlich kritisierte.“ (HAZ, v. 3.2.24, S. 8)
Literatur
Gaßmann, Bodo: Manifest der Autonomie der kritischen Philosophie. Die geistige Situation der Zeit und die Aufgaben des emanzipatorischen Denkens, Garbsen 2023.
Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft. Nach der ersten und zweiten Original-Ausgabe neu herausgegeben von Raymund Schmidt, Hamburg 1971. (KrV)
Negt, Oskar: Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen. Zur Theorie und Praxis der Arbeiterbildung, Ffm, Köln 1971.
Negt, Oskar: Politische Philosophie des Gemeinsinns. Band 2 Moral und Gesellschaft: Immanuel Kant, Göttingen 2022.
Negt, Oskar; Kluge, Alexander: Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit, Ffm. 1974.
Negt, Oskar: Marxismus als Legitimationswissenschaft. Zur Genese der stalinschen Philosophie, in: Bucharin, Nikolai; Deborin, Abram: Kontroversen über dialektischen und mechanischen Materialismus. Einleitung von Oskar Negt, Ffm. 1974.
Türcke, Christoph: Lehrerdämmerung. Was die neue Lernkultur in den Schulen anrichtet, München 2016 (2. Aufl.).
Wikipedia
Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ)
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