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Rezension

Hannah Arendt und der Antisemitismus

Eine Rezension von Bodo Gaßmann über:

Emmanuel Faye: Hannah Arendt und Martin Heidegger. Zerstörung des Denkens

Aus dem Französischen übersetzt von Leonore Bazinek. Unter Mitwirkung von Michael Heidemann
Reihe: Contradictio – Studien zur Philosophie und ihrer Geschichte. Hrsg. v. Günther Mensching
Würzburg 2024.

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(Alle Seitenangaben von mir ohne Hinweis auf Autor und Text beziehen sich auf dieses Werk!)

Als ich meine „Kritischen Anmerkungen zu Hannah Arendt“, die teilweise auf dem Buch von Faye fußten, einem philosophisch interessierten linken Buchhändler vorlegte, er möge sie in seinem Buchladen auslegen, entgegnete er zornig, wie könne man Hannah Arendt scharf kritisieren, sie sei doch eine progressive Denkerin. Man könnte hinzufügen: Eine Denkerin der Rätedemokratie, der Marxauslegung und der Kritik am „Totalitarismus“. Allgemein hat Arendt den Status einer Ikone (Faye: Arendt und Heidegger, S. 101). Es gibt die Legende, Arendt sei dem fortschrittlichen Denken zuzuordnen. Der Rätegedanke, der die Demokratie des Volkes sein soll in einer sozialistischen Gesellschaft, wird bei ihr jedoch auf eine geistige Elite bezogen, die das Volk, bei ihr die Masse, ausschließt; da Marx die Arbeit als ewige Naturbedingung bestimmt hat, interpretiert sie dies als Natureigenschaft des Arbeiters, mehr zu produzieren als er braucht, naturalisiert also die Herrschaft über ihn seit der Antike; und schließlich ist der Totalitarismus, ein Begriff, den sie populär gemacht hat,  eine falsche, bloß oberflächliche Deutung des Stalinismus und Faschismus, weil die Grundstrukturen dieser diktatorischen Regime kaum Bedeutung für sie haben. Der Faschismus beruht auf einem aggressiven imperialistischen Kapitalismus, der Stalinismus war eine Diktatur, die eine staatliche Industrialisierung auf planwirtschaftlicher Grundlage mit Terror durchführte und schließlich wieder in einer Herrschaft der obersten Bürokratie („Politbüro“, „Nomenklatura“) endete, die sich sozialistisch drapierte. Da die Darstellung von Arendt „oft ungenau ist“ (S. 80, Anm. 114), bei ihrer Marx-Deutung sogar bewusst verfälschend, ergibt sich „die Notwendigkeit einer analytischen und kritischen Lektüre der Schriften Arendts“ (ebd.).
   Diese Analyse verweigert Peter Trawny in seiner Rezension des Buches von Faye. Antonio Gramsci hat die Losung für die linken Kräfte ausgegeben, die kulturelle Hegemonie in ihren jeweiligen Gesellschaften zu erstreben, um die Bevölkerung zu Veränderungsprozessen geneigt zu machen, damit sie nicht sich als Menschenmaterial in den imperialistischen Kriegen abschlachten lässt oder dem Faschismus als „Volksbewegung“ nachläuft, was ebenfalls darauf hinausläuft, dass die Menschen zu Kanonenfutter werden. Dieses Streben nach geistiger Hegemonie nehmen die heutigen Reaktionäre, Ideologen des Kapitals und der Gegenaufklärung bitter ernst. Dagegen schreibt Emmanuel Faye an mit seinem Buch, das gerade auf Deutsch erschienen ist. Er will aufklären, steht also in der Tradition der Aufklärung und seinem Selbstverständnis nach auch in der Tradition Kants. Auch er wendet sich gegen Reaktionäre, indem er objektiv seine Thesen beweisen will. Dagegen schreibt Trawny in seiner Rezension des Buches von Faye an. Sie ist erschienen auf der Internetseite der Neuen Züricher Zeitung am 3.7.24. (1)
   Trawny geht gegenaufklärerisch wie Heidegger und Arendt von der Destruktion der Vernunft bzw. ihres möglichen avancierten Standes aus, indem er skeptizistisch vom Fallibilismus, auf Popper u. a. zurückgehende „Zerstörung“ der Vernunft, ausgeht. Trawny schreibt: „Vor allem aber setzt Faye das Denken der Aufklärung, die Philosophie der universellen Vernunft als nicht mehr hinterfragbar voraus. Daraus bezieht er gültige Evidenzen, vor deren Hintergrund er alles bewertet und verurteilt. Solche Evidenzen aber gibt es in der Philosophie nicht. Die Vernunft muss sich stets argumentativ bewegen, um nicht selbst zu einem zerstörerischen Dogma zu versteinern. Kants Denken liefert keine unumstösslichen Wahrheiten, wie Faye voraussetzt. Es bietet lediglich Einsichten, die ihren prekären Charakter nicht verleugnen.“ (Trawny, letzte Seite seiner Rezension) Nun wird hier die Aufklärung kritisiert, ohne wirklich zu argumentieren, völlig unkonkret. Wenn er schreibt, die Vernunft muss sich der Zerstörung aussetzen, um sich zu bewähren, dann ist das unlogisches Geschwafel: Die Vernunft müsste immer wieder von vorn anfangen! Was zerstört ist, kann nicht in einen neuen Stand der Vernunft eingehen – gegen Hegels These von der bestimmten Negation, welche die wahren Momente aufbewahrt und aufhebt in dem neuen Stand. Fallibilismus und Skeptizismus ist aber kein neuer Stand der Vernunft angesichts des heute aufgehäuften Wissens, das nicht ohne Vernunft zu haben ist.
   Bei Trawny wird also, wie es auch Heidegger und Arendt machen, die Vernunft ohne Argumente pauschal denunziert oder wie es schon bei Heidegger heißt: „dekomponiert“. Entsprechend ist auch seine „Rezension“ angelegt. Trawny gibt einige Thesen des Buches von Faye im Konjunktiv I wieder und bestreitet sie meist gegen die Belege und kritischen Interpretationen dieser durch Faye. Unten werde ich einige direkte Belege für Fayes Kritik zitieren.

Hannah Arendt ist dem Denken des faschistischen Philosophen Heidegger verbunden, hat seine Schriften nach 1950 weltweit verbreiten helfen und hat ihren ehemaligen Lehrer als neuen Plato oder als König der Philosophie des 20. Jahrhunderts glorifiziert und sein Engagement für den deutschen Faschismus entschuldigt als Ausrutscher, obwohl er auch nach 1945 faschistisches Gedankengut propagiert hat (siehe u. a. seine „Schwarzen Hefte“) – und, wie ich in meinem Buch über Arendt gezeigt habe, ist die grundlegende Fundamentalontologie seines Denkens direkt mit dem faschistischen Gedankengut verbunden.
   Die Einordnung ihres Denkens in ein wie immer geartetes linkes Spektrum ist falsch (S. 133). Das ist auch ihrer besonderen Schreibweise zu verdanken, die „besonders rhapsodischen Charakter“ hat, die auf „doppeldeutigen Aussagen“ (S. 108) beruht, kaum ihre Begriffe genau definiert, überhaupt die Logik kriminalisiert (§ 41) und einen „unkritischen Gebrauch literarischer Quellen“ (S. 116) betreibt und konsequentes Denken durch Narrative ersetzt (S. 103). Interpreten sprechen von „antiphilosophische(r) Nichtphilosophie“ (S. 109). Um ihre Intentionen zu erkennen, muss man nach Faye ihre Texte zweimal lesen.
   Philosophie, vor allem wenn ihr Gegenstand die Gesellschaft und die Politik ist, kann nicht neutrales Denken im Garten des Wissens sein, sondern mischt sich in die sozialen Kämpfe der Gesellschaft ein, selbst wenn es sich neutral oder rein philosophisch gibt. Dass Heidegger ein Denker des „Nationalsozialismus“ war, ist inzwischen erwiesen. Faye selbst hat ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Heidegger. Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie“. (2009 auf Deutsch erschienen). Damit die Mystik seiner fundamentalontologischen Seinsphilosophie Platz bekam, musste Heidegger die Geschichte der Philosophie destruieren.
   Für Hegel war die Geschichte der Philosophie ein Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit. Die Weltgeschichte hat Erfahrungen hervorgebracht, die verallgemeinert wurden. Neue Erfahrungen haben diese Verallgemeinerungen berichtigt, präzisiert, neu bestimmt, sodass die aktuelle Philosophie auf dieser Entwicklung zur Wahrheit beruht, jedenfalls ihr avancierter Stand, der auf diesem Fortschritt des Denkens basiert. Heidegger hat die Geschichte der Philosophie nach den Vorsokratikern negiert als Verfallsgeschichte, um Raum im Denken für seine Seinsmystik zu schaffen. (Vgl. Gaßmann: Arendt, S. 109 ff.) Hannah Arendt folgt ihm darin, auch indem sie das logische Denken abwertet bis zu Negation.
   „Übersieht man die sog. Geschichte der Philosophie, die ja immer nur eine Geschichte von festgefahrenen Philosophenschulen gewesen ist, so zeigt sich, in welchem Ausmaß diese ganze Geschichte von Umkehrungen bestimmt und vorwärtsgetrieben ist, von dem gegenseitigen Umschlagen eines Idealismus in einen Materialismus, einer Transzendenz- in eine Immanenzphilosophie, eines Realismus in einen Nominalismus, des Hedonismus in den Spiritualismus, und so fort. Worauf es hier ankommt, ist lediglich die Tatsache der Umkehrbarkeit, daß nämlich alle diese Systeme so angelegt sind, daß man sie beliebig ‚vom Kopf auf die Füße‘ und von den Füßen auf den Kopf stellen kann, wobei entscheidend ist, daß es für solche Umkehrungen keinerlei ‚äußerer‘ Veranlassungen bedarf, also keiner geschichtlichen Ereignisse oder durch Ereignisse bedingter Erfahrungen.“ (Arendt: Vita Activa, S. 285)
   Diese Negation der Philosophiegeschichte ist nicht nur falsch, sondern selbst eine philosophische Position, die Heidegger kreiert hat, nämlich ein Irrationalismus, ein Zerfall des rationalen Denkens. Dieser Irrationalismus ist tief in das Gedächtnis der Intellektuellen im 20. Jahrhundert eingesickert, in Frankreich etwa bei Jean Paul Sartre, Foucault und Derrida; oder in Deutschland wie oben gezeigt bei Trawny. Über die Intellektuellen in Westdeutschland nach 1945 schreibt Günther Mensching: „In den Jahrzehnten nach dem Ende des Dritten Reiches war die intellektuelle Szenerie so sehr von aktiven Nazis und von Sympathisanten bestimmt, dass eine solche Analyse (wie die von Faye, BG) für eine Karriere an der Universität oder auch in den Medien schlechterdings ausgeschlossen war: Es musste dauern, bis alle direkten Täter und ihre intellektuellen Unterstützer verstorben sind.“ (Günther Mensching, in Faye, a. a. O., S. 22) Erst dann konnte sich die Kritik an Heideggers Philosophie und seiner „Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie“ (ein Werk von Faye) zuerst durch Hugo Ott und Victor Farias allmählich verbreiten. Durch den verborgenen Jargon von Hannah Arendt wirken Heideggers Gedanken aber fort. „Mit Hannah Arendt, der Ikone der heutigen politischen Philosophie, überdauert die praktische Konsequenz der Fundamentalontologie. Dies bis in die Einzelheiten dargelegt zu haben, ist das Verdienst des Buches.“ (von Emmanuel Faye) (Mensching, ebd.) Das demonstriert Emmanuel Faye in seinem Buch über Arendt und Heidegger. Arendt war Schülerin von Heidegger und zeitweise auch seine Geliebte. Obwohl Heidegger Antisemit war und Arendt aus einem jüdischen Elternhaus stammte, 1933 aus Deutschland fliehen musste, hat sie seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts in Amerika Heideggers Schriften zu literarischen Erfolgen verholfen. Vor allem aber sind ihre eigenen Werke zutiefst von Heideggers Denken geprägt, wie ihre Stellung zur Philosophiegeschichte deutlich gemacht hat. Sie hat sein Engagement für den deutschen Faschismus als Eskapade des sonst großen Denkers entschuldigt, er ist ihr der König der Philosophie des 20. Jahrhunderts und ein neuer Plato. Da jedoch nach 1945 Heidegger zeitweise von seinem Lehrstuhl suspendiert war, konnte Arendt nicht offen seine Gedanken übernehmen. Faye schreibt über sein Buch „Arendt und Heidegger“: „Es geht darum, eine kritische Analyse der Texte zu entwickeln, die dazu dient, nicht nur isolierte Aussagen, sondern auch die Denkweise der Autoren zu untersuchen. Wir beanspruchen, Arendts schneidende Weise herauszuarbeiten, mit der sie ihre Gegner im Voraus disqualifiziert. Ihre eigenen Positionen entzieht sie der kritischen Diskussion, indem sie sie nicht als solche ausspricht, sondern oftmals unterschwellig vermittelt. Darüber hinaus lässt sich zeigen, auf welche Weise sie eine ganze Reihe von Ausdrücken ohne präzise Definition verwendet, wie etwa ‚Pluralität‘, ‚Natalität‘ oder ‚Miteinandersein‘, und damit einen regelrechten Jargon der Eigentlichkeit für unsere Zeit entwirft, der die Tür für alle möglichen Zweideutigkeiten offenlässt. Obwohl sie diese Begriffe nicht genau definiert, kann man durch ein sorgfältiges Studium herausfinden, was sie darunter versteht.“ (Faye, a. a. O., S. 26)

Im Ersten Teil untersucht Faye die Beziehung von Hannah Arendt zum Nationalsozialismus (S. 53 – 178). Hierbei geht es um die Frage, „die eine der Leitthemen des vorliegenden Bandes bildet: wie konnte ein und dieselbe Autorin die hyperbolische Verteidigung Heideggers mit der kritischen Beschreibung des nationalsozialistischen ‚Totalitarismus‘ verbinden?“ (S. 47) (Über ihre Reflexion des Antisemitismus, wo dieses Problem besonders gravierend sich auswirkt, siehe unten.)
   Im Zweiten Teil geht es um „Heidegger oder die Metapolitik der Vernichtung“ (S. 179 – 250) Darin wird sein Seins-Terminus als „Deckname“ thematisiert, die „planmäßige Destruktion der Philosophie“, die Arendt übernimmt und der Antisemitismus als „Selbstvernichtung des Judentums“ in den Schwarzen Heften von Heidegger. Heidegger negiert nach Faye das „kategoriale Denken zugunsten der ‚Existenzialien‘ (…) und er ersetzt „Kants Leitfrage der Philosophie ‚Was ist der Mensch?‘ durch die völkische Ausdrucksweise ‚Wer sind wir?‘“ (S. 49)
   Der Dritte Teil handelt von der Sprengung des „westlichen Denkens“ und die „Wende in der Bewertung Heideggers durch Arendt“ (1949 – 1954). Dabei geht Faye besonders auf das Hauptwerk von Arendt ein: Vita Activa. Faye nennt dieses Buch „ein heideggerianisches Buch“ (S. 321 ff.). Ebenso werden in diesem Teil die Kritiker von Arendt mit ihren Urteilen thematisiert. Dabei geht es auch um die intellektuelle Beziehung von Arendt und Heidegger nach 1945.
   Der Vierte Teil und letzte geht auf die Interpreten ein, die in „Arendts Falle“ geraten und mit ihr die „Demontage der Philosophie“ betreiben. Ein eigenes Kapital thematisiert ihr Buch „Eichmann in Jerusalem“. Der „Schluss hat die Überschrift: “Von der nationalsozialistischen Vernichtung zur Zerstörung des Denkens“. (S. 431 – 452) Faye schreibt dazu: „Sie behauptet tatsächlich einen radikalen Gegensatz zwischen Heidegger und Eichmann, der Heidegger zum „heimlichen König im Königreich des Denkens“ erhebt und Eichmann zur Karikatur eines banalen Bürokraten und Befehlsausführers macht, charakterisiert durch eine ‚Gedankenlosigkeit‘, einem ‚Fehlen des Denkens‘.“ (S. 50) Über die Bedeutung der NS-Diktatur und ihrer literarischen Erzeugnisse, die Arendt versucht abzustreiten und diese Autoren dadurch reinzuwaschen, schreibt Faye: „Es geht um die systematische und wohlüberlegte Infiltration der nationalsozialistischen Weltanschauung in alle Bereiche der Kultur und des universitären Lebens, auf intellektueller, sozialer und geistiger Ebene: Medizin, Recht, Geschichte, Philosophie sowie Religion, Poesie und Kunst.“ (S. 141) Weiter heißt es bei Faye: „Unter dieser Autorenarmee der ‚großen Namen‘ sind Martin Heidegger für die Philosophie, Carl Schmitt für das Recht, Gerhard Kittel, Emanuel Hirsch oder Friedrich Gogarten für die Theologie, Hans Freyer oder Arnold Gehlen für die Soziologie, Eugen Fischer für die Biologie und die Medizin mit einer gewissen Aura versehen. Sie tragen eine besondere Verantwortung in der systematischen Eroberung des Geistes und der Legitimierung des Schlimmsten. Ihre Verantwortung nimmt außerdem erheblich zu, wenn, wie im Falle Heideggers, Schmitts und Gehlens, ihr Ansehen die Niederlage von 1945 überlebt hat, denn dies erlaubt ihrem Denken fortgesetzt Einfluss auszuüben.“ (S. 142)
   Als Anhang hat das Werk „Arendt und Heidegger“ von Faye eine Bibliographie der zitierten Werke der beiden, während die Sekundärliteratur nur in den Anmerkungen belegt wird.

Das philosophie-immanente Verhältnis von Heideggers Philosophie und der von Arendt habe ich in meinem Buch „Kritische Anmerkungen zu Hannah Arendt. Phänomenologische Pseudokonkretheit, reaktionäre Ideologie und ethischer Nihilismus“ untersucht. In dieser Rezension will ich mich nicht wiederholen, sondern auf Themen eingehen, die in meinem Buch zu kurz kommen, aber von Faye erörtert werden. Dies ist vor allem ihr Verhältnis zum „Antisemitismus“. Das Eigenartige an diesem Verhältnis ist die Tatsache, dass Arendt aus einem jüdischen Elternhaus kommt, aus Deutschland 1933 wegen ihrer Abstammung fliehen musste und dennoch rassistische Gedanken verbreitet hat und die antisemitischen Denker wie Carl Schmitt und Martin Heidegger nie grundsätzlich kritisiert hat.
   
Zum „Antisemitismus“ bei Heidegger und anderen
sowie Arendts Beziehung dazu

Philosophie wurde in der Antike zur Wissenschaft, als sie ihre Begriffe aus der vieldeutigen Volkssprache heraushob und eine eigene Begriffssprache entwickelte, die durch eindeutige Definitionen gekennzeichnet war. Deshalb ist eine Reflexion über den Begriff des „Antisemitismus“, wie er heute verwendet wird, notwendig. Dazu Auszüge aus meinem Buch über Arendt:
   Zunächst ist der Begriff „Antisemitismus“, obwohl er heute ubiquitär benutzt wird, problematisch. Das Wort „Antisemitismus“ heißt wörtlich: „gegen Semiten“. Mit Semiten wird die Sprachfamilie bezeichnet, zu der u. a. das Hebräische wie das Arabische gehören. Der Begriff als ethnologischer ist untauglich, weil die damit bezeichneten Völker „keine geschlossene Gruppe im Sinn der Völkerkunde“ bilden (Brockhaus Bd. 20, S. 52). Der Name Semiten wurde im 19. und 20. Jahrhundert rassistisch aufgeladen. Da es aber biologisch keine Rassen gibt, ist die willkürliche Stigmatisierung der Juden als biologische Rasse (ohne die Araber usw.) dann wieder konsequent willkürlich („Wer Jude ist, bestimme ich“ (Göring)). Das Wort „Antisemitismus“ ist also kein konsistenter Begriff, wer das Wort unbedarft übernimmt, unterstellt implizit die Rassenideologie des deutschen Faschismus. Als Alternative könnte man vorschlagen „rassistisches Antijudentum“, doch auch dies ist prekär, weil es biologisch keine Rassen gibt. Molekularbiologische und populationsgenetische Forschungen seit den 1970er Jahren haben gezeigt, dass eine systematische Unterteilung der Menschen in Unterarten ihrer enormen Vielfalt und den fließenden Übergängen zwischen geographischen Populationen nicht gerecht wird. Zudem wurde herausgefunden, dass die augenfälligen phänotypischen Unterscheidungsmerk­male der Rassentheorien nur von sehr wenigen Genen verursacht werden, der größte Teil genetischer Unterschiede beim Menschen stattdessen innerhalb einer sogenannten „Rasse“ zu finden ist. (Wikipedia: „Rassentheorie“) Wenn ich also den Begriff „Antisemitismus“ oder „Rassismus“ hier beibehalte, dann muss diese Kritik immer mitgedacht werden.
   Dass Heidegger sein ganzes literarisches Leben lang Antisemit war, lässt sich an seinen Texten und Äußerungen belegen (siehe dazu Gaßmann: Arendt, S. 129 ff.). In dem Werk „Leviathan“ von Carl Schmitt bestimmt der faschistische Rechtstheoretiker 1938, was er unter Antisemitismus versteht, ohne diesen Terminus zu verwenden. Das Buch erschien 1982 erneut in der Bundesrepublik mit den antisemitischen Behauptungen und Verdrehungen. Schmitt unterscheidet zwischen deutscher Herkunft und fremder Herkunft, zu denen er die Juden zählt. Die „Gesamtlinie seines Volkes“, d. h. der Juden, ist ihm das „Doppelwesen einer Maskenexistenz“ (Schmitt: Leviathan, S. 109). Sie argumentierten auf der Ebene des innerpolitischen Feindes, indem sie den Staat an den „Konstitutionalismus“ binden, „an dem der preußische Soldatenstaat unter der Belastungsprobe eines Weltkrieges im Oktober 1918 zusammenbrechen mußte“ (Leviathan, S. 109) Sie vertreten die „Unterscheidung von Moral und Recht“, die „Erzwingbarkeit des Rechts“ und die „Nichterzwingbarkeit der Ethik“ (a. a. O., S. 107). Dadurch untergraben sie den großartigen absolutistischen Staat, wie ihn Hobbes konzipiert habe, in der das Innere des Menschen und das Äußere noch allein vom absoluten Monarchen bestimmt werde (jedenfalls als Bekenntnis). Die Trennung von Staat und Bekenntnis, Inneres und Äußeres, Ethik und Recht, absolute Macht und ihre konstitutionelle Beschränkung gehe auf jüdische Philosophen zurück. Besonders durch ihre Assimilierung in die deutsche Gesellschaft wirkten sie als „Einbruchstelle“ (a. a. O., S. 106) der Zerstörung, die Inhalt und Form trenne. „Jetzt aber, seit dem Wiener Kongreß, bricht die erste Generation emanzipierter junger Juden in breiter Front in die europäischen Nationen ein. Die jungen Rothschilds, Karl Marx, Börne, Heine, Meyerbeer und viele andere besetzen jeder sein Operationsgebiet in der Wirtschaft, Publizistik, Kunst und Wissenschaft.“ (A. a. O., S. 108) Sie „verwirren“ ideologisch den „inneren Kern“ des Staatswesens, paralysieren diesen geistig (ebd.). Da die Juden als Rasse angesehen werden, bringe diese Assimilation eine Doppelexistenz hervor, an die das rassistische Judentum gebunden sei und zugleich hängten sie sich die Maske des Aufklärers um. Dies führe dazu, dass sie „mitgewirkt“ hätten, „einen lebenskräftigen Leviathan zu verschneiden“ (a. a. O., S. 110).
   Schmitts „Antisemitismus“ entspringt seiner Apologie des autoritären absoluten Staates, wie er in Deutschland 1938 etabliert war und führt zu Verfälschungen der Geschichte und zum Irrationalismus der Rassenlehre. Carl Schmitt macht mit dieser Schrift die Juden verantwortlich für die Niederlagen des deutschen Weltmacht-Imperialismus. Er begründet so indirekt 1938 die spätere Vernichtung des inneren Feindes und 1982 rechtfertigt er diese Vernichtungspolitik des deutschen Faschismus durch die unkorrigierte Neuveröffentlichung seines Buches.

Im Einzelnen Arendts Bezug zum Antisemitismus

Faye will keine allgemeine Biographie von Hannah Arendt schreiben (S. 80), wohl aber nach der „analytischen und kritischen Lektüre der Schriften (…) den Weg zu einer wirklich intellektuellen Biographie (…) öffnen“ (S. 80/Anm. 114). Beides lässt sich jedoch nicht immer sauber trennen. Ihre Beschäftigung mit den deutschen Romantikern, welche die Ambivalenz des Charakters reflektiert haben, trifft auch Momente ihres eigenen Charakters: „(…) etwas von Arendts innerem Leben, seinen Schwankungen und seinen Ambivalenzen, (…) eine versteckte Melancholie, welche ein Gegengewicht zu dem Sarkasmus und der dogmatischen Härte bildet, die sie äußerlich an den Tag legte.“ (S. 84) Besonders ihre Beziehung zu den Schriften von Rahel Varnhagen zeigt diese Eigenart ihres Charakters.
   Rahel Varnhagen kommt aus einem jüdischen Elternhaus und wollte sich wie Arendt assimilieren. Dabei stellt sich die Frage, wie Assimilation gelingen kann, wenn sie sich „weder auf ein Fundament noch eine Tradition oder Geschichte berufen“ kann. (S. 89) Varnhagen versucht an der deutschen „politischen Heilsgemeinschaft der Raumgenossen“ teilzuhaben, indem sie sich dem Kreis um Goethe anschließt, „mit ihm Kompagnie“ macht, um „damit in der deutschen Geschichte“ zu stehen (S. 89), um so „die Angst, nicht mehr sichtbar zu sein“ zu überwinden. Parallelen zu Heidegger bieten sich hier an, wenn Arendt zu ihm ein Liebesverhältnis hat und nach 1949 zur Verbreitung seiner Schriften in den USA wesentlich beiträgt. Das aber heißt, da die europäischen Nationen in weiten Teilen antisemitisch sind, sich auch an den Antisemitismus zu assimilieren. Sie zitiert positiv Varnhagen: „Der Jude muss aus uns ausgerottet werden; das ist heilig wahr, und sollte das Leben mitgehen.“ (Zitiert nach S. 89) Da jedoch die Anti-Juden-Einstellung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem rassistischen Antisemitismus mutiert, ist eine „Ausrottung“ des Juden aus der eigenen Person nicht mehr möglich, wie Arendt spätestens 1933 erfahren musste, als sie von der Gestapo eine Woche lang verhaftet wurde und deshalb nach ihrer Freilassung das rassistische Deutschland sofort verließ. Dennoch war diese Ambivalenz, eine assimilierte Jüdin zu sein, bestimmend für ihre weitere intellektuelle Biographie. Ihr Buch über Rahel Varnhagen sei nach Benno von Wiese (eine Zeitlang ihr Freund) „ein verstecktes Selbstbekenntnis“ (S. 90). „Arendt schreibt von der ‚Angst nicht mehr sichtbar zu sein‘, von der Sorge, ‚an der Welt teilzunehmen‘. Sie meint, dass Rahel Varnhagen geglaubt habe, ‚auf die Menschen kommt es nicht an, nur auf das, was ihnen geschieht‘ und dass ‚der Mensch nichts ist, wenn er unsichtbar bleibt‘. Im Mittelpunkt ihres Lebenswerkes steht das Motiv einer menschlichen Existenz, die sich nur als Sein in der Welt und durch gegenseitige Anerkennung konstituiert, die Heidegger in Sein und Zeit als Mitsein bezeichnete.“ (S. 90) (Vgl. zum Mitsein, das Existenzial Gemeinschaft der geistigen Elite gegen den Massenmenschen, Gaßmann: Arendt, S. 119 f.) Die charakterliche Zerrissenheit und Ambivalenz übertragen sich auch auf ihre Auffassung vom Antisemitismus im 20. Jahrhundert.
   In einem Essay über Antisemitismus Ende der 30er Jahre macht sie für die Genese des Antisemitismus die deutsche politische Romantik verantwortlich. So schreibt sie in diesem Essay: „Die romantischen Staatstheorien geben den Nährboden für alle antisemitische Ideologie ab.“ (Zitiert nach Faye, S. 93) Begriffe wie „bodenständig“ und „entwurzelt“, die auch bei Heidegger vorkommen, nennt sie „populare Philosophiekastereien und bescheidene Weltanschauungssausprüche“, die sich durch beliebige Assoziationen ergänzen lassen. Obwohl sie Heidegger nicht nennt, ist das auch eine versteckte Kritik an Heidegger, der diese Begriffe in Sein und Zeit verwendet.
   „Zwischen dem Text vom Ende der 1930er Jahre und demjenigen von 1951 (in ihrem Totalitarismusbuch, BG) findet folglich ein Perspektivenwechsel statt; nach der Niederlage der Nazis eine Abschwächung, wenn nicht gar Infragestellung der Verantwortung Deutschlands in der Entstehung des modernen Antisemitismus.“ (S. 92) Die theoretische Grundlage des Rassismus der Antisemiten wird nun nicht mehr in der politischen Romantik in Deutschland gesehen, sondern nach Frankreich verschoben (S. 99). So wird z. B. Gobineau genannt und die Dreyfus-Affäre. Sie geht sogar soweit, „dass jüdische Geschichte selbst an der Ausbildung des modernen Antisemitismus beteiligt gewesen sei“ (S. 101). Unter anderem deshalb, weil der Zionismus blind war für die Unterscheidung von „Freund und Feind“, den Begriff des Politischen des faschistischen Rechtstheoretikers Carl Schmitt. „Im Allgemeinen stellt Arendt die Emanzipation sowie die Assimilation der Juden als ausweglos und widersinnig dar. Sie führt den Aufstieg des Antisemitismus nun nicht mehr auf eine Abfolge ideologischer Positionen und Lehrmeinungen zurück, wie noch in dem Manuskript Ende der 1930er Jahre, sondern einzig auf die sozio-ökonomische Lage, die das Schicksal der reichen Juden und der europäischen Nationalstaaten verbunden habe. Auf diese Weise macht sie die Juden für die Genese des Antisemitismus mitverantwortlich.“ (S. 102 f.) Diese scheinmarxistische Deutung übersieht jedoch das antisemitische Schrifttum, das diese Ideologie befeuerte und zur Vernichtungspraxis der Nazis beitrug. „Der Nationalsozialismus wäre nicht das geworden, was er war, ohne die Abfolge der deutschen Theoretiker, die von der Verjudung Deutschlands sprachen, wie etwa Richard Wagner, Houston Stewart Chamberlain, Alfred Rosenberg und auch Martin Heidegger.“ (S. 107) Ein Zweck dieser Wandlung in Arendts Auffassung von Antisemitismus ist das Herunterspielen der Schuld der deutschen Intellektuellen und insbesondere Heideggers, deren Engagement für die Nazis 1933 und 1934 sie als Eskapade deutet und ihn ansonsten als großen Philosophen ansieht, dessen wesentliche Thesen sie in ihren Schriften, wenn auch verklausuliert, folgt. Die theoretische Grundlage für solche Wechsel von Perspektiven, Schuldzuweisungen und dem willkürlichen Umgang mit den Quellen ist der Phänomenologismus, auf dem Heideggers und Arendts Denken beruht. Die Phänomenologie Husserls mit ihrer Wesensschau ist letztlich ein willkürliches und intuitives Verfahren, aus der unübersehbaren Masse von sinnlichen Eindrücken etwas als Wesen zu isolieren. Das erklärt, die willkürliche Auswahl der Quellen bei Arendt und den beliebigen Wechsel der Perspektiven je nach Interesse und ideologischem Bedürfnis. („Ideologie“ in marxsche Bedeutung) Arendt will nach 1945 wieder an ihr intellektuelles Verhältnis mit Heidegger anknüpfen und spielt deshalb die Rolle der faschistischen Intellektuellen bei der Vernichtung der Juden herunter. Stattdessen erklärt sie den deutschen Faschismus aus einer „Zersetzung einer Gesellschaft“, „in der eine kriminell oder mafiös gewordene Elite mit einer Masse zusammenarbeitet, die sie auch als die ‚déclassés‘ bezeichnet.“ (S. 105). Faye schreibt dazu: „Diese Vorstellung des ‚Mobs‘ ist soziologisch unpräzise und problematisch“ (S. 105). Letztlich will Arendt diese gesamte Problematik des Antisemitismus und Faschismus auf das Existenzial der Sinnlosigkeit der modernen Welt reduzieren, in der nicht nur einige Gruppen von Menschen überflüssig geworden sind, sondern die ganze Menschheit. Sie schreibt: „Nur eine Sache scheint sich abzuzeichnen: wir können sagen, dass das radikal Böse im Kontext eines Systems aufgetaucht ist, innerhalb dessen alle Menschen gleichermaßen überflüssig geworden sind.“ (aus dem Totalitarismusbuch, zitiert nach Faye, S. 171) Solche Thesen sind das Resultat der Zerstörung des Denkens durch den politischen Existenzialismus.

Weitere Aspekte des Antisemitismus bei Arendt

In den Vorträgen von 1949 (in Bremen) leugnet Heidegger die Vernichtungslager nicht, aber er relativiert ihre Einmaligkeit, indem er sie auf eine „einfache industrielle und technische Vorrichtung reduziert“ (S. 194), einem planetarischen „Ge-stell“, ohne die Täter und Opfer zu nennen. Stattdessen beklagt er in seiner verqueren Sprache: „doch inmitten der ungezählten Tode bleibt das Wesen des Todes verstellt.“ (Zitiert nach S. 195) Das Wesen des Todes besteht für ihn im Opfer für das Vaterland. Für Faye liegt hier ein „ontologischer Rassismus“ vor, „der die Opfer bis in den Tod verfolgt“ (S. 196).
   Arendt, die den Unterschied von Konzentrationslager und Vernichtungslager kennt, geht in ihrem Totalitarismusbuch kaum darauf ein, sondern wälzt die Schuld der Nazis am Tod von sechs Millionen Juden abstrakten, nicht genau bestimmten Begriffen zu wie die Rede vom „absoluten Bösen“ (S. 165) und generell der Moderne. „Die Autorin der Origins of Totalitarianism hält an dieser strittigen These fest, in den totalitären Regimen einen verlässlichen Indikator der strukturellen Probleme unserer Zeit zu sehen: Überbevölkerung, Vermassung der Gesellschaften, Entwicklung eines klassenlosen Mobs, etc. Im zweiten Teil ihres Schlusskapitels von 1951 geht sie zu einer pathetischen Verallgemeinerung über, vorbereitet durch die Behauptung der Austauschbarkeit von Unterdrückern und Opfern, des Auslöschens jeglicher moralischen Norm und der Verantwortung einer utilitaristischen Denkweise, die aufoktroyiert sei.“ (S. 165 f.)

Arendt schätzt das Narrative, fiktionale Erzählungen und die Deutung sinnlicher Wahrnehmung höher als die theoretische Konstruktion und Interpretation. Insofern ist sie eine Vorläuferin des Irrationalismus der Postmoderne. In der Novelle von Joseph Conrad: Herz der Finsternis, gibt sie die Rassen-Erfahrung eines Protagonisten wieder, die jedoch mit den beobachteten Menschen in Afrika nichts zu tun hat, sondern sich nur in dem Kopf einer Figur der Novelle abspielt, während sie andere Passagen des Textes unterschlägt. (S. 116) Aus der Passage: „Sie heulten und hüpften und drehten sich um sich selbst und schnitten fürchterliche Grimassen“ (zitiert nach S. 116), schürt sie aus diesem „Gefühl des Abscheus vor der afrikanischen Bevölkerung“ Zweifel daran, ob die Eingeborenen Menschen seien. Sie erklärt Conrads Novelle als das „aufschlussreichste Werk über die tatsächliche Rasse-Erfahrung in Afrika“ (S. 116) „Arendt konzentriert ihre Interpretation jedoch auf die Figur des Kurtz und vernachlässigt den Erzähler Marlow. Kurz, der innerlich zu abgestumpft ist, um seine Abscheu zu überwinden, und dessen wahnsinnig gewordene Seele schließlich zu dem Schluss kommt: ‚Rottet all diese Bestien aus!“‘, bringt den geistigen und physischen Schiffbruch eines Europäers zum Ausdruck“. (S. 117)
   Conrad schrieb seine Novelle 1902, fünf Jahre bevor der deutsche General Lothar von Trotha einen offiziellen „Vernichtungsbefehl“ zur Vernichtung der Herero im damaligen Deutsch-Südwest-Afrika gab. Eine Interpretin des deutschen Militärwesens erkennt: „Rassistische und sozialdarwinistische Ideologien einerseits, imperialistische und moderne Kriegspraktiken andererseits verstärkten sich gegenseitig. Im Nationalsozialismus verbanden sie sich schließlich.“ (Zitiert nach S. 119/Anm. 311)
   Faye zieht ein geistiges Fazit zu diesem Komplex: „Wohin will Arendt uns führen? Alle natürlichen oder transzendentalen Rechtsbegründungen werden von ihr abgewiesen. Der ‚jüdisch-christliche Schöpfungsmythos‘ wird ebenso ad acta gelegt wie das, was sie ‚den letzten und möglicherweise arrogantesten Mythos, den wir in unserer ganzen langen Geschichte erfunden haben‘, nennt – die ‚angeborene Menschenwürde‘. Mit dieser Erklärung macht die Autorin der Origins of Totalitarianism den zuvor erwähnten Begriff einer ‚neuen und feierlich verkündeten Menschenwürde‘ zunichte, der seit Kant als konstitutiv für die Menschenrechte betrachtet worden ist und darin besteht, dass der Mensch ‚mündig wurde‘. Arendt könnte weder ihre Opposition gegen den Geist der Aufklärung deutlicher zum Ausdruck bringen noch ihren vermeintlichen Kantianismus stärker strapazieren.“ (S. 167) Ihr Argument, dass die Menschenrechte kaum gegolten haben, ist absurd, denn dann müsste alles Recht und alle Moral sinnlos sein, wenn nur einer dagegen verstößt.
   Ein weiterer Beleg für den Rassismus von Arendt ist ein Artikel von ihr, der dem Kampf der Schwarzen in den USA für eine Teilnahme ihrer Kinder an den höheren Schulen, die bisher nur Weißen vorbehalten war, thematisiert. Phänomenologischer Ausgangspunkt ihres Textes ist ein Zeitungsbild, in dem ein schwarzes Mädchen zu sehen ist, das von einem Freund ihrer Familie vor einem wütenden Mob aus weißen Kindern und Erwachsenen beschützt wird. Sie gibt nicht der Rassentrennung in dem US-amerikanischen Schulsystem die Schuld an dieser Situation, sondern den Eltern des Mädchens, die es auf eine weiße Schule schicken. Das heißt, sie tritt für Rassentrennung in den USA ein, sie vertritt, wie K. T. Gines schreibt, „die Position der weißen Rassisten“ (zitiert nach Faye, S. 374).
   Arendt gibt sich nicht offen antisemitisch, aber sie verbreitet unterschwellig antisemitische Klischees in ihren Schriften. Dies zeigt sich in ihrer „Reportage“ über den Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961.
   Heidegger schreibt 1941 über die Juden: „Die höchste Art und der höchste Akt der Politik bestehen darin, den Gegner in eine Lage hineinzuspielen, in der er dazu gezwungen ist, zu seiner eigenen Selbstvernichtung zu schreiten.“ (Zitiert nach Faye, S. 243) Da Arendt keine Wesensbegriffe hat, weil sie wie Heidegger kategoriales Denken, überhaupt die Philosophie ablehnt, kann sie nur phänomenologisch vorgehen. Da dieses Verfahren willkürlich ist, muss es auf Vorurteilen, Klischees oder wie bei Arendt dem Seinsdenken von Heidegger beruhen, nach dem sie die Fakten konstruiert. Deshalb folgt sie in ihrer Berichterstattung der obigen Ansicht Heideggers von der Selbstvernichtung der Juden.
   Die deutschen Faschisten hatten die Judenräte (Selbstverwaltungsorgane) gezwungen, bei der Deportation in die Vernichtungslager mitzuwirken. In ihrem Buch über Eichmann „bezeichnet (sie) die Juden tatsächlich als wirkliche Mitverantwortliche beim Ausführen der Vernichtung ihres Volkes“ (S. 424). Jemand jedoch, der mit dem Tode bedroht ist und deshalb an der Deportation mitwirkt, kann nicht juristisch beschuldigt werden. Das widerspricht der historischen Wahrheit, wie problematisch diese Mitwirkung auch war. Arendt jedenfalls vertritt eine „entschiedene und leidenschaftliche Manier“, indem sie „die Opfer belastet“, das ist nach Faye Diffamierung. „Und wenn die Nationalsozialisten durch die Einrichtung von Ghettos und Judenräten bewusst darauf hinwirkten, den Juden die Beteiligung an ihrer eigenen Vernichtung aufzuzwingen, so liegt die Verantwortung für diese Vorgehensweise nach wie vor bei jenen, die sie mit gnadenloser Gewalt durchgesetzt haben, nämlich bei den Nazis. Wir haben gesehen, dass Heidegger selbst sich moralisch zum Komplizen dieses Vorgehens macht“ (S. 425). Wie das Zitat oben beweist (bei Faye, S. 243).
   Auch ihre These von der „Banalität des Bösen“, die sich auf Eichmann bezieht, um ihn als Bürokrat und gedankenlos erscheinen zu lassen, ist unwahr; sie vertritt diese These allein deswegen, um Heidegger zu exkulpieren und im Kontrast zu Eichmann als „großen Denker“ zu stilisieren. Der „Hanswurst“ Eichmann (S. 413) und der „König des Denkens“ sind beide durch ihre Nazi-Ideologie an der Durchführung und Rechtfertigung der Vernichtung der Juden beteiligt. Die NS-Weltanschauung aber weigert sich Arendt zu analysieren. Sie sieht darin lediglich Propaganda, aber kein Selbstverständnis der Nazis, ohne dass die Vernichtung gar nicht möglich gewesen wäre.

Zur Beurteilung von Emmanuel Fayes Werk
Das große Verdienst von Faye mit seinem Buch über Arendt und Heidegger ist es, die Maske von Arendts Schreibe heruntergerissen, ihre Intention hinter ihrem Jargon akribisch bis in die letzten Verästelungen ihrer Schriften nachgewiesen zu haben. Besonders hervorzuheben ist der Anteil von Arendt an der Zerstörung des rationalen Denkens, das sie Heidegger folgend betreibt. Was aber zu kurz kommt, ist der Zusammenhang von irrationalem Denken, das sich als Philosophie ausgibt, und dem kapitalistischen System, wie es Georg Lukács mit seinem Buch „Die Zerstörung der Vernunft“ versucht hat darzustellen. Beide, Lukács und Faye, gehen aber von problematischen philosophischen Grundpositionen aus, Lukács von einer ontologischen „Widerspiegelungstheorie“, wie sie im Sowjetmarxismus dogmatisch vorgegeben war, Faye beurteilt die Menschenrechte und die Moral von einem „Naturrecht“ aus (u. a. S. 166). Zwar geht er von der „Menschheit“ als objektives Subjekt der Wissenschaft und der Menschenrechte wie Kant aus, zugleich aber auch vom Naturrecht (ohne das näher zu begründen) – das aber ist ein Widerspruch. Aus der Natur Rechte abzuleiten, widerspricht dem Stand des Denkens, wie es in Kants Transzendentalphilosophie erreicht war. Das, was a priori aus der Natur herausinterpretiert wird, erweist sich immer als a posteriori, die Begründung aus der Natur ist also immer ein Zirkelschluss. (Hegel)

Die Faszination, welche die Schriften von Heidegger auf Hannah Arendt ausüben, vor allem „Sein und Zeit“ und der „Humanismusbrief“ von 1949 (Faye, S. 290), lässt sich nicht aus ihrer vergangenen Liebesbeziehung erklären, sondern muss aus der Situation der bürgerlichen Intellektuellen nach 1945 erklärt werden. Sie können nicht eine rationale Philosophie übernehmen, denn dann müssten sie ihre eigene Verwurzelung im herrschaftlichen Denken negieren und sich auf die kritische Philosophie besinnen; stattdessen greifen sie auf Irrationalismen zurück, mit denen sie ihre „Paria-Existenz“ (Arendt) als Intellektuelle scheinrational ideologisch legitimieren können. Peter Trawny, der Herausgeber der „Schwarzen Hefte“ von Heidegger und Kritiker von Fayes Buch, hat diese interessegeleitete Entscheidung für die Gegenwart auf den Punkt gebracht. „Faye ignoriert, dass sich in der Philosophie seit Nietzsche ein Denken Bahn bricht, das den von Faye so eifrig zitierten Evidenzen das Vertrauen aufgekündigt hat. Können wir der Vernunft ganz ohne Widerspruch das Wort geben? Haben wir die Aufklärung, der, nicht nur historisch betrachtet, auch die Rassentheorie entspringt, wirklich ganz verstanden?
   Hanna Arendt und Martin Heidegger und viele andere wollten und konnten dieser historischen Schwelle zum Denken des 20. Jahrhunderts nicht ausweichen. Fayes These, sie seien Zerstörer der Vernunft, verkennt, dass sich die Vernunft nur bewähren kann, wenn sie sich selbst der Zerstörung aussetzt.“ (Trawnys Rezension, letzte Seite)
   Das banale Schema der Kritik an der Aufklärung ist, man weist bei einer Philosophie einen Fehler oder in der Epoche einen Antiaufklärer nach und negiert dadurch pauschal die ganze Epoche mit ihren Einsichten und Maßstäben. Ist der avancierte Stand der Vernunft erst einmal denunziert, dann lässt sich das Denken auf eine Seinsmystik reduzieren, der man nach Heidegger hörig sein müsse. Wer den Inhalt bestimmt und wem man sich anschließt, ist dann eine Frage der Willkür und des ideologischen Bedürfnisses.
   Trawny bestätigt indirekt durch diese Aussagen die These von Georg Lukács, dass die bürgerlichen Denker die „Zerstörung der Vernunft“ zugunsten des Irrationalismus seit dem 19. Jahrhundert betrieben haben. Heidegger und Arendt sind zwei Höhepunkte dieser Zerstörung. Irrationalismus als Philosophie oder als „Denken“ (Heidegger) geht den Selbstwiderspruch ein, die Kategorien der Vernunft, ihre Einheit usw. zu benutzen, sonst wäre ihr kommunizierter Irrationalismus nicht verständlich, zugleich denunzieren sie die Vernunft, die sie doch voraussetzen. Ihre literarische Strategie gegen ihre Gegner ist dann auch die „Taktik der Verachtung“ (Faye, S. 290) und die „unphilosophische Polemik“ (ebd.), die Trawny beide auch gegen Faye in seiner Rezension anwendet. Die Schwäche dieser Taktik ist es, dass sie sich auf Dauer abnutzt, auch deshalb, weil sie nichts Überzeugendes der Vernunft entgegenzusetzen hat als die „Zerstörung“.
   Zwei Aspekte mögen diese Kritik illustrieren. Faye geht auf Varianten der Texte ein, vergleicht diese mit anderen Ausgaben und unveröffentlichen Quellen – das mag derart detailliert notwendig sein, um die vielen Verfälschungen und Fehlinterpretationen der Texte von Heidegger und Arendt bis ins Kleinste zu widerlegen. Aber dabei geht manchmal die große Linie, das eigentlich philosophische Anliegen, die Zerstörung der Vernunft zu reflektieren, verloren, das diejenigen, die zu Heidegger von vornherein eine kritische Distanz haben, besonders interessiert.
   Zum anderen ist die unkritische Verwendung des Propagandaterminus „Nationalsozialismus“, den unter anderem deutsche Historiker dogmatisch verteidigen, unangebracht für eine Schrift gegen den deutschen Faschismus mit seiner eliminatorischen Politik. Die „Nazis“ waren weder national, denn sie haben Deutschland kaputt gemacht, und sie waren keine Sozialisten, denn sie haben die Weltmacht-Ambitionen des deutschen Großkapitals zu exekutieren versucht.
   Faye hat recht, wenn er „Geschichtswissenschaft und Philosophie“ (S. 206) als Voraussetzung dafür ansieht, die philosophischen Gedanken bzw. die nicht-philosophischen von Heidegger zu verstehen. Gegen ein oberflächliches apologetisches Textverständnis, wie bei Gadamer und Derrida (S. 206/Anm. 80), fordert Faye eine Reflexion der Aussagen und eine Synthese verschiedener Stellen, die jeweils in ihren Kontext eingebettet werden sollten. Philosophie ist aber mehr als nur das wahre Textverständnis von Heidegger und daraus folgend die Anklage seiner Ideologie als Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Die heideggersche Apologie, die das Verhältnis von Technik und Nationalsozialismus lobt, die „Motorisierung der Wehrmacht ebenso wie den Gaskammern (…) eine ‚innere Wahrheit‘ und eine ‚Größe‘ zugesteht“ (S. 205) – steht jedoch im Widerspruch zu seiner generellen Kritik der Technik als „Ge-stell“ (S. 205). Die „Zerstörung des Denkens“, die Faye an Heidegger und Arendt kritisiert, verlangt eine Einbindung dieser Ideologen in die Totalität der kapitalistischen Moderne. Solche Detailforschungen, wie sie Faye betreibt, sind notwendig, wie es notwendig ist, sie prinzipiell in den Zusammenhang mit dem kapitalistischen System einzuordnen, das längst die reale Subsumtion der Gesellschaft unter das Kapital bewerkstelligt hat und den Mainstream des Geistes dominiert.
   Wenn sich bürgerliche Denker für eine irrationalistische Position der Philosophie oder gar für eine „Nichtphilosophie“ (Heidegger) entscheiden, dann kann dies nicht nur persönliche Gründe haben. Faye sagt selbst, dass die Romanze von Arendt als Studentin von Heidegger nicht ausreicht, ihre geistige Beziehung zu ihm zu erklären. Der Irrationalismus von Heidegger, Schmitt und Arendt ist adäquat einer bürgerlichen Klasse und ihrer kapitalistischen Ökonomie, die nicht nur auf einer irrationalen Anarchie der Produktion und Zirkulation beruht, die das Leben auf unserem Planeten zerstören könnte, sondern als Herrschaftsform des Kapitals auch längst überflüssig geworden ist. Eine solche Herrschaft kann sich nur vor den Menschen, die sie betreiben und die sie ausbeutet, rechtfertigen, indem sie ihr rationales Bewusstsein im Bereich des Sozialen zerstört und durch mythologische Begriffe ersetzt, die von dem wahren essentiellen Zusammenhang ablenken. Das heißt nicht, dass Arendt und ihre Vordenker direkt auf die Masse der Menschen, die sie sowieso verachten, eingewirkt haben, das verhindert schon die Geistferne der Kulturindustrie, aber sie haben über die geistig angepassten Kolporteure wie Journalisten, Talkshowmaster, Bibliothekare, Philosophiedozenten auf der Karriereleiter, philosophisch dilettierende Politiker und andere Halbgebildete, die irrationale Stimmung verbreitet, die von den Schriften von Arendt ausgehen. Vor allem der Terminus „Pluralismus“ von Arendt, der nicht das Recht auf eigene Meinung meint, sondern jede dezidierte Auflassung im Konzert der Meinungen ertränkt, als Begriff allgemeiner Skeptizismus ist, hat dazu beigetragen, jeden kritischen Gedanken gegen das bestehende Herrschaftssystem zu marginalisieren, als abwegig erscheinen zu lassen, bestenfalls in repressiver Toleranz zuzulassen. Heideggers Seinsmystik und Arendts Pluralismus treffen sich mit Poppers „kritischem Rationalismus“ insofern, als nach ihm jeder Gedanke fallibilistisch ist. Das ist eine Auffassung, die weder kritisch noch rational ist. Und so könnte man weitere philosophische Richtungen der modernen bürgerlichen Philosophie wie etwa die „Geisteswissenschaften“ aufzählen. (Vgl. Gaßmann: Manifest, Kap. 5) oder die Diskurstheorie von Apel und Habermas. (Vgl. Unkritische Theorie)
   Solche Werke wie das von Faye, die akribisch Textarbeit betreiben, sind eine notwendige Voraussetzung der philosophischen Reflexion. Sie klären auf. Wenn Arendt das Narrative gegenüber der stringenten Entwicklung von Gedanken vorzieht, dann ist die Geschichte ihres Denkens und ihre prinzipielle Abhängigkeit von Heidegger aufgrund der Texte nachzuvollziehen, eine adäquate geistesgeschichtliche Methode. Aber der Nachvollzug von Gedanken und Abhängigkeiten sowie deren Wirkung auf das lesende Publikum ist als Geschichte der Philosophie oder „Nichtphilosophie“ selbst noch keine Geschichtsphilosophie, welche die „Zerstörung des Denkens“ auf das falsche Ganze der kapitalistischen Gesellschaft beziehen müsste. Dies ist die Grenze des aufklärerischen Buches von Emmanuel Faye.

Am Schluss eine Reflexion über den Begriff „Zerstörung des Denkens“ oder „Zerstörung der Vernunft“. Eichmann hatte in seinem Prozess behauptet, zunächst nach Kant gehandelt zu haben, seit der Vernichtungsaktion an den Juden aber damit aufgehört zu haben, „nach kantischen Prinzipien zu leben“. Das Moralgesetz als Verallgemeinerungsregel von Maximen wurde von den Nazis reformuliert in: „Handle so, daß der Führer, wenn er von deinem Handeln Kenntnis hätte, dieses Handeln billigen würde.“ (Zitiert nach Faye, S. 446) Durch diese Umformulierung wird aus dem universal geltenden kategorischen Imperativ eine partikulare Regel, aus dem kantischen Subjekt der Menschheit wird der Dezisionismus des Führers. Dies könnte man als Beispiel für die Zerstörung der Vernunft ansehen.
   Arendt jedoch glaubt den Aussagen Eichmanns nicht, denn dann hätte sie ihn nicht den heideggerschen Begriff der „Gedankenlosigkeit“ unterstellen können, sondern hätte sich auf die Erörterung seiner „Weltanschauung“ einlassen müssen, was sie nicht tat. Sie behauptet aber doch einen Bezug zu Kant erkennen zu können. „Arendt belässt es nicht dabei, Eichmanns Erklärung neu zu interpretieren, um ihre eigene Interpretation seiner Mentalität abzusichern. Weit davon entfernt, Kants Moralphilosophie gegen die Entstellungen durch Hitler und die Nationalsozialisten zu verteidigen, behauptet sie, dass Eichmann sich ‚in einer Beziehung (…) ganz zweifellos wirklich an Kants Vorschriften gehalten‘ habe und erklärt kurz und bündig: ‚Gesetz war Gesetz, Ausnahmen durfte es nicht geben‘.“ (S. 447) Das ist eine bewusste Täuschung und Verballhornung von Kants Moralphilosophie, der sehr wohl zwischen schlechten Gesetzen und den Gesetzen, die der Moralität entsprechen, unterschieden hat (vgl. u. a. Kant: Kritik der reinen Vernunft, S. B 373 ff.) Ebenso bezieht sich sein „Rigorismus“ auf die Vernunftmoral, nicht auf das Morden. Mit ihrer dümmlichen Kant-Auslegung versucht sie, die Moralphilosophie Kants zu zerstören. In Verbindung mit Eichmann wird Kant von ihr zu einem geistigen Vater der Vernichtung der Juden erklärt.
   Was aber heißt dann „Zerstörung der kantischen Philosophie“ (Faye, S., 447)? Was heißt, Heidegger und Arendt vernichten „die philosophischen und moralischen Prinzipien“? Die Politiker des totalen Staates und die geistigen Brandstifter können im Handeln der Menschen diese Prinzipien eliminieren, aber nicht die Prinzipien selbst, auch nicht im Selbstbewusstsein der ansonsten gleichgeschalteten Menschen, wenn sie darin verankert waren. Faye gibt das auch zu, wenn er am Ende dieses Abschnitts für die Gegenwart fordert, diese „Zerstörung“ „zu bekämpfen“, sich der „Verantwortung“ bewusst zu sein, damit wir „uns der Destruktion der Menschheit im Denken entgegen(..)stellen“ (ebd.). Wären die philosophischen Prinzipien von Heidegger, Arendt, Trawny und Konsorten wirklich als Prinzipien zerstört, dann wüssten wir gar nichts mehr von ihnen. Oder wie der Kritiker der Bürokratie der frühen Sowjetunion, Bulgakow, eine Figur seines Romans Meister und Margarita sagen lässt: Menschen kann man verbrennen, Ideen brennen nicht.

(1) (https://www.nzz.ch/feuilleton/boese-denker-emmanuel-faye-holt-martin-heidegger-und-hannah-arendt-vom-sockel-ld.1837659, gelesen am 6.7.24)

Literaturverzeichnis erwähnter Werke und Ergänzungen
Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Band 1: Antisemitismus, Ffm., Berlin, Wien 1975.
Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Band 2: Imperialismus, Ffm., Berlin, Wien 1975.
Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Band 3: Totale Herrschaft, Ffm., Berlin, Wien 1975.
Arendt, Hannah: Little Rock und die Gleichheit aller Bürger, in: Denken ohne Geländer. Texte und Briefe. Herausgegeben von Heidi Bohnet und Klaus Stadler, München 2020.

Arendt, Hannah: Über die Revolution, München 2019.
Arendt, Hannah: Vita Activa oder Vom tätigen Leben. München, Zürich 1987.
Faye, Emmanuel: Arendt und Heidegger. Die Zerstörung des Denkens. Studien zur Philosophie und ihrer Geschichte. Herausgegeben von Günther Mensching Band XX (Manuskript).
Faye, Emmanuel: Kategorien oder Existenzialien. Von der Metaphysik zur Metapolitik, in: Martin Heideggers „Schwarze Hefte“.
Faye, Emmanuel: Heidegger. Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie. Im Umkreis der unveröffentlichten Seminare zwischen 1933 und 1935. Aus dem Französischen von Tim Trzaskalik, Berlin 2009.
Faye, Emmanuel: Nationalsozialismus und Totalitarismus bei Hannah Arendt und Aurel Kolnai. Aus dem Französischen von Dorit Engelhardt, in: theologie.geschichte Beihefte 5/2012.
Gaßmann, Bodo: Kritik der Wertphilosophie und ihrer ideologischen Funktion. Über die Selbstzerstörung der bürgerlichen Vernunft, Garbsen 2014.
Gaßmann, Bodo: Kritische Anmerkungen zu Hannah Arendt. Phänomenologische Pseudokonkretheit, reaktionäre Ideologie und ethischer Nihilismus. Schriften des Dialektikvereins zu Problemen der Ethik 1, Garbsen 2022. (2. überarbeitete Auflage).
Gaßmann, Bodo: Manifest der Autonomie der kritischen Philosophie. Die geistige Situation der Zeit und die Aufgaben des emanzipatorischen Denkens, Garbsen 2023.
Lukács, Georg: Die Zerstörung der Vernunft. Georg Lukács Werke Band 9, Neuwied am Rhein, Berlin-Spandau 1962.
Martin Heideggers „Schwarze Hefte“. Eine philosophisch-politische Debatte. Herausgegeben von Marion Heinz und Sidonie Kellerer, Ffm. 2016.
Schmitt, Carl: Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols. Mit einem Anhang sowie einem Nachwort des Herausgebers, Köln 1982.
Unkritische Theorie. Gegen Habermas. Herausgegeben von Gerhard Bolte u. a., Lüneburg 1989.

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